Dauerrolle als Opfer

Nur wenige Monate war Herbert Häber Mitglied des Politbüros.Jetzt steht er in Berlin wegen der Toten an der Mauer vor Gericht

Herbert Häber wird die Welt nicht verstehen wollen. Er sieht sich als doppeltes Opfer: als Opfer der Machtkämpfe in der SED-Spitze und als Opfer der Ignoranz der westdeutschen Justiz, die seine Leistungen für die Verständigung beider Staaten nicht würdigen will.

Häber, Sohn eines Schmieds, ist ein herausragendes Beispiel für den Aufstieg, der im SED-Regime möglich sein konnte: Mit 18 Jahren wurde er Sekretär für Jugendfragen in der SED-Kreisleitung Zwickau, war dann Redakteur der Freien Presse, studierte an der Landesparteischule der SED und stieg 1951 in den zentralen Parteiapparat auf, um von dort aus die Parteilichkeit der Medien zu sichern. Von 1954 bis 55 folgte der Besuch der Parteihochschule der KPdSU in Moskau. Anschließend wechselte Häber in die „Westarbeit“ der SED und wurde schließlich 1973 Leiter des Staatssekretariats für gesamtdeutsche bzw. westdeutsche Fragen. Durchaus auch mit Agitation und Propaganda wollte die SED damit auf die Ostpolitik der großen Koalition in Bonn reagieren und ebenfalls (West-)Deutschlandarbeit betreiben.

Seinen Aufstieg krönte Häber 1984, indem er Mitglied des Politbüros wurde, doch schon 1985 stürzte er aus diesem Olymp – angeblich aus „gesundheitlichen Gründen“. Doch tatsächlich hatte Häber falsch kalkuliert. Nicht nur, dass er sich sowieso partiell kulturell distanzierte und nicht in Jagd- und Saufkampagnen einbinden ließ: Er wollte vor allem, dass die SED eher auf die CDU als auf die SPD setzt, wenn es um die deutsch-deutschen Beziehungen ging. Er hielt die Konservativen für berechenbarer. Da half es ihm im Politbüro auch nicht, dass er für den wort- und formulierungsschwachen Honecker Briefe und Konzepte entwarf – unter anderem für dessen Telefongespräche mit Helmut Kohl.

Nach seiner Entlassung aus der Klinik wurde Häber 1986 erlaubt, in der Akademie für Gesellschaftswissenschaften Imperialismusforschung zu treiben. Den Mitarbeitern wurde allerdings nahegelegt, keinen Kontakt zu ihm aufzunehmen. Nach der Wende schickte sich Häber in den Vorruhestand. Damit entzog er sich jedoch nicht der Auseinandersetzung über die DDR, wenn auch sein Blick zurück stets stärker von seinem persönlichen Schicksal geprägt war als von seiner Zugehörigkeit zur Machtelite der DDR. Für deren Politik trägt er trotz allem die Verantwortung. In welchem Umfang – das wird das Gericht zu würdigen haben. Schon jetzt ist sicher, dass sich Häber nicht gerecht behandelt fühlen wird. GERO NEUGEBAUER

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin