BUNDESWEHRKASERNE WURDE NACH WIDERSTANDSKÄMPFER UMBENANNT
: Die schwierige Tradition

Der 8. Mai, ohnehin symbolträchtig genug für die deutsche Geschichte, erhielt in diesem Jahr im schleswig-holsteinischen Rendsburg eine weitere Bedeutung. Dort wurde eine Bundeswehrkaserne umbenannt. Dies hat es zwar schon häufiger gegeben, doch ist das Motiv neu. Der Grund war nicht, wie sonst, dass der bisherige Namenspatron nicht mehr tragbar schien – obwohl Generaloberst Günther Rüdel 1944 Beisitzer am Volksgerichtshof geworden war. Vielmehr wollte man einen Retter litauischer Juden aus den Reihen der Wehrmacht ehren: den Feldwebel Anton Schmid aus Wien.

Vor wenigen Wochen war Bundespräsident Johannes Rau beim Staatsbesuch in Israel auf das Schicksal von Schmid aufmerksam gemacht worden. In eher unüblicher Eile betrieb man nun die Kasernenumbenennung. Vorbei scheinen die Zeiten, als dies nur nach langem Gezerre möglich war – selbst wenn es sich bei den Namenspatronen um solch üble Figuren wie den überaus Hitler-gläubigen Generalobersten Eduard Dietl handelte. Stattdessen ging man in umgekehrter Reihenfolge vor: Erst hat man den Namen von einem Guten, dann sucht man unter den bereits vorhanden Namenspatronen den schlimmsten aus (nebenbei: über den Nebenjob des Generalobersten Rüdel am Volksgerichtshof war selbst Experten bisher nichts bekannt). Und schließlich wird an einem symbolträchtigen Datum umbenannt.

Gewiss kann ein Mann wie Anton Schmid nicht genug geehrt werden. Ein Mann, der die Infrastruktur seiner Dienststelle nutzte, um ab Herbst 1941 die Juden aus dem Ghetto Wilnas zu retten, die bei ihm arbeiteten. Einige versteckte er während Vernichtungsaktionen, andere versorgte er mit Nahrung und Medikamenten, ja selbst mit Waffen. Wieder andere brachte er mit einem hierzu „ausgeliehenen“ Wehrmacht-Lkw in weniger gefährdete Ghettos. Im Januar 1942 festgenommen, wurde Anton Schmid zum Tode verurteilt und im April 1942 erschossen.

Doch auch wenn Schmid als Widerstandskämpfer beeindruckt: Taugt eine Persönlichkeit wie er für eine Traditionsbildung der Bundeswehr (denn dies ist ja das Ziel von Kasernentaufen)? Oder lässt sich anhand von seinem Beispiel sogar eine zumindest teilweise Neubewertung der Wehrmacht vornehmen, deren Ruf mit Recht ramponiert ist? Nein, wohl nicht.

Zunächst: Das Handeln dieses österreichischen Feldwebels, eigentlich Handwerker und somit nur „eingekleideter Zivilist“, war im Millionenheer der Wehrmacht alles andere als ein Massenphänomen. Es gab insgesamt nur wenige Dutzend Wehrmachtsangehörige, die bedrohten Juden halfen.

Dann: Nur die wenigsten Widerstandskämpfer waren Teil des Systems. Stattdessen waren es meist Einzelne – wie etwa Schmid oder der Hauptmann Willi Schulz, der als Inspekteur der Arbeitskräfte des Ghettos Minsk im März 1943 mit einem gestohlenen Lkw zu den Partisanen überlief, an Bord fünfundzwanzig Flüchtlinge aus dem Ghetto. Typisch für diese Systemferne war auch, dass die Helfer häufig als Reserveoffiziere dienten, wie Major Max Liedtke, der als Ortskommandant von Przemysl versuchte, seine jüdischen Arbeiter zu retten, und dabei die bewaffnete Konfrontation mit SS-Einheiten riskierte. Vor allem aber: Diese Befehlsverweigerungen waren nicht konstituierendes Element und Ausdruck eines geplanten, organisierten Widerstands gegen das Regime. Sie entstanden spontan, unter dem Eindruck der Situation, und zielten auf die Rettung Einzelner, nicht auf den Umsturz des Nationalsozialismus als Ganzem. Berufsmilitär Major Axel von dem Bussche-Streithorst, der der Verschwörung des 20. Juli angehörte, war einer der wenigen, der sich angesichts der Massaker an den Juden im Osten zum grundsätzlichen Widerstand entschloss: Er wollte sich mit Hitler in die Luft sprengen.

So wenig die vereinzelten Widerstandskämpfer taugen, um das Gesamtbild der Wehrmacht aufzuhellen – so wenig eignen sie sich für die Traditionsbildung der Bundeswehr. Denn Einzelne, die sich ihre menschliche Gesinnung gegen alle Befehle bewahren, passen einfach nicht zu einem System, das auf Gehorsam setzt. Es ist daher kein Zufall, dass die Bundeswehr nicht selbst schon längst alle Kasernen nach Widerstandskämpfern benannt hat, sondern dass sie dazu von „oben“ gedrängt werden musste. PETER STEINKAMP

Der Autor ist Historiker in Freiburg