stasi-abhörprotokolle
: VERPASSTE CHANCE

Es gibt wohl keinen politisch interessierten Menschen in Deutschland, der nicht gerne aus den Stasi-Abhörprotokollen mehr über das Finanzgebaren der CDU erfahren möchte. Aber darum geht es eben nicht. Rechtswidrig erlangte Informationen dürfen nur für die Aufklärung besonders schwerer Verbrechen benutzt werden, und Verstöße gegen das Parteiengesetz sind – leider – bisher nicht einmal strafbar. Geschweige denn ein schweres Verbrechen.

Zur Verwendung der Stasi-Akten gibt es unterschiedliche Rechtsauffassungen. Ohne sie zu beachten, haben die Fraktionsspitzen der Bundestagsparteien nun beschlossen, die Stasi-Akten nicht als Beweismittel zur Aufklärung der CDU-Spendenaffäre heranzuziehen. Die Entscheidung ist richtig – auch wenn noch nicht feststeht, ob sich alle daran halten werden. Trotzdem ist sie eine weitere verpasste Chance.

Unionsfraktionschef Friedrich Merz hat betont, dass im Umgang mit den Stasi-Akten zwischen Tätern und Opfern unterschieden werden müsse. Wenn das so einfach wäre. Ist eine 16-jährige Schülerin, die von einem Nachrichtendienst angeworben wird, nur Täterin? Oder nicht auch Opfer?

Die Diskussion über den Umgang mit den Stasi-Protokollen hätte zehn Jahre nach der Vereinigung Anlass für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den besonderen Problemen sein können, die durch die deutsche Teilung entstanden sind. Diese Auseinandersetzung hat – wieder einmal – nicht stattgefunden.

Stattdessen ist ein heikles Thema durch eine parteiübergreifende Vereinbarung unter den Teppich gekehrt worden. Wie denn die Spendenaffäre insgesamt ein anschauliches Beispiel dafür bietet, dass sich mit kollektivem Schweigen über Parteigrenzen hinweg alle Forderungen nach Veränderungen ersticken lassen – auch diejenigen, die eine von vielen Bürgern gewünschte Einschränkung der Parteienmacht zur Folge hätten.

Immerhin: Nicht alle schweigen. Die FDP will jetzt für Reformen streiten, die in diese Richtung zielen. Ja sicher, es ist Wahlkampf. Ja, sie hat diese Vorschläge als Regierungspartei nicht gemacht. Alles richtig. Und trotzdem: Es ist ein kleiner Lichtblick in diesem finsteren Loch der parteilichen Besitzstandswahrung, dass wenigstens eine Partei nicht zu glauben scheint, mit dem Austausch von Köpfen alleine seien alle Probleme bereits gelöst. BETTINA GAUS

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