berliner szenen
: Es ist Sommer, und die „B.Z.“ hat nichts zu verbergen

KLEINBUSIGE UNSCHULD

Es ist ein komisches Gefühl, in einem Sommer zu sein, der ein Jahrhundertsommer gewesen sein wird. Dabei ist ja noch Frühling. Die ganze Stadt sei oversexed, sagt mein Nachbar Matthias, der sich ab und an an Straßenkreuzungen stellt, um Radfahrerinnen in den Ausschnitt zu schauen. Das ist schön!

Die erste Seite der B.Z. vom Freitag war irgendwie beeindruckend: Im obersten Drittel rechts verprügelte eine Ärztin aus dem Grunewald mit Balken auf den Augen „nach sechs Gläsern Rotwein“ gleich zwei Polizisten; in der Mitte war ein Aufmacher über das entführte Ehepaar Wallert – „Ihr Hochzeitsfoto“, „Ihr Leidensfoto“. Auf ihrem Leidensfoto haben sie fast die gleiche Position eingenommen, wie auf ihrem Hochzeitsfoto, und da drunter, unten links, „Berlins Busen-Flitzer, frech und süß“. Drei junge Mädchen, die lächelnd ihr T-Shirt oder Spagettiträgerhemdchen nach oben gezogen haben, weil: „Ich hab wirklich nichts zu verbergen“.

Im Innern des Blattes posierten die Teeniemädchen: „Verzeihung, dürfen wir Ihren Busen fotografieren?“, waren sie von den B.Z.-Reportern gefragt worden. Daneben Fotos und gewohnt infantilistische Texte: „Stefanie und Sabrina machen Abitur und mit diesen Fotos die Männer verrückt“, „Stefanie macht Abitur und mit diesen Fotos die Männer verrückt“, „Sabrina macht Abitur und mit diesen Fotos die Männer verrückt“. Wirklich! Und auch eine Statistik wegen der Fakten: „Angesprochen: 80 Mädchen. Blankes Entsetzen: 48. Zögernd, dann ‚Nein‘: 23. Zögernd, dann ‚Ja‘: 6. Fröhliches, spontanes ‚Ja‘: 3“.

Wer wäre nicht gern fröhlich und spontan in der unverkrampften B.Z., die mit den Bildern ein bisschen Geld gespart haben dürfte, denn die Amateure werden weniger bekommen haben als die üblichen Nacktmodelle. Außerdem sind halbnackte Schülerinnen natürlich verkaufsfördernder als Profimodelle. Sie sehen schön aus und lächeln sehr lieb, und man hat ein sehr unangenehmes Gefühl; nun ja: weil es so widerwärtig und ausbeuterisch ist. Nicht weil sich Männer an ihnen erregen könnten, sondern weil sie im B.Z.-System auftauchen und dort die Stelle der Unschuld besetzen; einer generell kleinbusigen Unschuld, die gebraucht wird, um auf den anderen Seiten die meist großbusige Sexualität zu denunzieren.

Ein paar Seiten später gab es wieder diffamierende „Rotlicht-Enthüllungen“ über Sabrina, diese mittlerweile doch recht tragisch wirkende Frau aus der „Big Brother“-Sendung, die versucht hätte, „das schnelle Geld“ als „Animiermädchen“ und mit Telefon Sex zu machen“ usw. Vor ein paar Wochen hatte die B.Z. ihr superunverkrampftes Verhältnis zum Sex mit der Schlagzeile „Die Berliner Kerstin: Vorgestern Sex mit dem Mund“ demonstriert. Keine Ahnung, ob Kerstin die B.Z. dafür verklagen kann; sie sollte es jedenfalls versuchen! DETLEF KUHLBRODT