zoologie der sportlerarten
: PROF. HOLGER HIRSCH-WURZ über den Hockeyspieler

VERKEHRSSTAU MIT KEULE

Der Homo ceulicus, im Volksmund Hockeyspieler, existiert nur während der Olympischen Spiele, aber zu seinem Glück weiß er das nicht. Unbeirrt veranstaltet er auch zwischendurch Meisterschaften, Europapokalwettbewerbe, allerlei Turniere, die er großspurig Nation’s Cup oder ähnlich nennt, wähnt sich im Mittelpunkt des Weltinteresses und merkt gar nicht, dass er genausogut Sackhüpfen in einer fernen Galaxis betreiben könnte und damit in etwa genauso viele Beobachter für sein seltsames Treiben fände – vielleicht sogar mehr.

Kommt jedoch Olympia, dann schlägt seine große Stunde. Weil der Sport nur von einer winzigen Handvoll immer gleicher Nationen kompetent betrieben wird, hat er stets ausgeprägte Medaillenchancen, was für hübsche Einschaltquoten in der Heimat sorgt. Dort löst er ein kollektives Déjà-vu-Erlebnis aus, weil jeder, der zuschaut, das Gefühl hat, die dargebotenen Partien exakt genauso schon einmal gesehen zu haben. Und das entspricht voll der Wahrheit, denn hat man eine gesehen, hat man alle gesehen. Da flitzen die immer gleichen indischen Turbane mit den immer gleichen pakistanischen Zipfelhemden um die Wette, da prügeln die immergleichen blassen Niederländer, blasierten Engländer und bramarbasierenden Australier auf den Ball ein, dazu das aus den immer gleichen wohlerzogenen Jünglingen bestehende deutsche Team, das sich niemals ändert, was man an Carsten Keller sieht, der seit ungefähr dreißig Jahren die immer gleiche Glatze durch die zentrale Abwehr spazieren trägt.

Andere Länder dürfen nicht mitmachen, und die klügeren unter ihnen wollen auch gar nicht. Probleme schafft die Exklusivität in den Kreisen des Homo ceulicus allerdings bei den olympischen Gastgeberländern, die ja automatisch qualifiziert sind. Die herkulische Aufgabe, eine Hockeymannschaft zu formieren, hat schon manches Organisationskomitee an Rückgabe der Spiele denken lassen. 1996 in den USA soll das Heimteam Gerüchten zufolge mit Sträflingen aus St. Quentin und Sing-Sing bestückt gewesen sei, da sich in den Vereinigten Staaten inklusive Alaska und Hawaii nicht genug Freiwillige auftreiben ließen. Die Ketten an den Füßen waren zwar etwas lästig, hemmten jedoch den Spielfluss nicht nennenswert.

Entwickelt hat sich das Hockey nämlich aus dem englischen Crocket, und so sieht es auch aus. Ein ungeschriebenes Gesetz besagt, dass kein Spielzug schneller sein darf als die Queen Mum, und um den Fortgang der Ereignisse möglichst effektiv aufzuhalten, wurde ein kompliziertes und rigides Regelwerk erfunden, weshalb sich diesem Sport nur besonders autoritätsgläubige Volksgruppen widmen, als da in erster Linie wären: Studenten und Sikhs.

Die ersten Zeugnisse des Homo ceulicus wurden allerdings schon in der Steinzeit entdeckt. Neueste Funde einschlägiger Sportgeräte beweisen, dass zum Beispiel der Neandertaler ein ausgesprochen gewiefter Ausüber des Hockeysports war. Das entscheidende Match gegen den Cromagnon verlor er jedoch nach allen Regeln der Kunst, woraufhin auch das heftige Schlagen mit der Kelle auf den Kopf des Kontrahenten untersagt wurde. Eine Variante, die sich dafür bis heute großer Beliebtheit beim Homo cellensis cellensis erfreut, des Hockeyspielers eisigem Bruder.

Verboten ist beim Hockey inzwischen nahezu alles. Der Ball darf nicht zu hoch gespielt werden und nicht zu flach, nicht zu gerade und nicht zu krumm, nicht zu schnell und nicht zu langsam, sowieso nur mit einer Schlägerseite und möglichst selten zum eigenen Mann. Permanent wird das Geschehen durch Freistöße unterbrochen, es handelt sich um eine Art Stop-and-go-Sport, gegen den jeder österliche Verkehrsstau wie ein Formel-1-Rennen wirkt.

Das Ziel ist aber ohnehin nicht, irgendwelche sinnvollen Spielzüge hinzukriegen, sondern früher oder später eine Strafecke zu schinden, die einzige denkbare Situation, aus der eventuell ein Tor fallen könnte. Warum man die Spiele nicht gleich durch Strafeckenschießen entscheidet und dann Crocket spielen geht, wissen nur die Engländer und vielleicht noch Carsten Keller. Andererseits: Wen interessiert das schon? Ist ja gerade kein Olympia.

Wissenschaftliche Mitarbeit: MATTI LIESKE

Autorenhinweis:Hirsch-Wurz, 55, ist ordentlicher Professor für Human-Zoologie am Institut für Bewegungs-Exzentrik in Göttingen.