Handelsraum Hollywood

Ein Planetengewitter, ein 3-D-Hologramm und jede Menge Schwerelosigkeit an sich: Für seinen Science-Fiction-Film „Mission to Mars“hat Brian De Palma die Special Effects in der Firma seines Kollegen George Lucas eingekauft – und an das Erfolgsmodell Nasa angedockt

von DIETMAR HOCHMUTH

George Lucas, der im vergangenen Jahr mit und vor allem aus seiner digitalen Gehirnwäsche, „Star Wars Episode I“ genannt, 400 Millionen US-Dollar erwirtschaftet haben soll, macht nicht nur Money, sondern Schule: Eine seiner Firmen aus dem sagenhaften Imperium nördlich der Golden Gate Bridge, jene mit dem ehrlichsten Namen von allen – „Industrial Light & Magic“ –, hat offenbar so etwas wie eine Börse mit bislang ungenutzten Special Effects, die quasi herumliegen, bis sie jemand ordert . . . So jedenfalls muss der Film „Mission to Mars“ entstanden sein, bei dem um einen Vorrat an fertigen Filmtricks ein Story-Vehikel gerankt wurde.

Früher, zu Zeiten des Erzählkinos, gab es in Hollywood so etwas wie ein Portfolio mit Filmstoffen, für das man sich etwas einfallen ließ – heute nimmt man gleich (und scheinbar nur noch) den Pyrotechniker, und zwar den digitalen, die Erinnerung an Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ und die Logos der Nasa als Aufnäher für die Kostüme – und gerade in letzter Zeit widerfuhren der Nasa mit ihrem ins Stocken gekommenen Marsprogramm ähnliche Pannen wie Hollywood mit diesem Film. Begründet das etwa eine Art Notgemeinschaft zwischen gescheiterter Realität und gescheiterter Science-Fiction? Inoffizielle Webseiten zu „M2M“ wie www.geocities.com/fluid_media/m2mNASA.htm, liefern Erinnerungshilfe und delektieren sich im Detail an den letzten Schlappen der Nasa auf dem Mars.

Auf Lucas’ Festplatten waren wohl gerade zwei Pakete vorrätig: eine Art Planetgewitter und diverse Raumsimulationen mit Hilfe von 3-D-Hologrammen. Drumherum ließ sich der Regisseur Brian De Palma von gleich vier Autoren eine Geschichte zurren, die wahrlich nur die Produktionsfirma Touchstone und der Disney-Verwerter Buena Vista „extraordinary“ finden kann: „Eine ‚außergewöhnliche Story‘ von Astronauten, die einer mysteriös gescheiterten Mars-Mission hinterherfliegen, um das Rätsel ‚der Struktur‘ zu lösen, in der alle Antworten zum menschlichen Dasein enthalten sein sollen. Bei diesem Unterfangen erwartet die Gruppe eine Reihe grausiger Überraschungen, die den Trip zu einer Höllenfahrt machen. Und was sie dabei finden, übertrifft ihre kühnsten Erwartungen . . .“ (aus den Produktionsnotizen).

Der Produzent Tom Jacobson wollte keinen geringeren Coup landen als Wolfgang Emmerichs „Independence Day“, sein Regisseur aber, Brian De Palma, kam gar nicht erst zur Premiere. Recht so, er hätte sich, abgesehen davon, dass er den Film vermutlich schon kennt, zu Tode gelangweilt: Neben besagten zwei ausgiebig vorgeführten Special Effects bietet der Film absolut gar nichts und wirkt sogar billig: Der Mars wird ausschließlich mit Rotfilter und der Wüste Nordafrikas simuliert, dazwischen sieht man, als ob zum ersten Mal, viel „Schwerelosigkeit an sich“, die rasch in Langatmigkeit mündet. Buchstäblich jede Handlung, jeder Gang, jeder starre Blick aus toten Augen wird in Zeitlupe gerendert.

Auch wurden, wie schon bei Lucas, nicht einmal richtige Stars aufgeboten (das hat ein Special Effect nicht so gern). Neben dem Hauptdarsteller Gary Sinise ist Armin Mueller-Stahl noch der Bekannteste. Er klopft Sprüche über die vernunftbegabte Existenz, welche es auf dem Mars mal gegeben haben soll, und hisst zwischendurch mal ebendort die amerikanische Fahne, sodass man beinahe aufstehen und eine Hand aufs Herz legen möchte. Was Mueller-Stahl dafür hier zusammenspielt, kalifornisch gebräunt und mit Kuhaugen tiefsinnig aus seinem Nylon-Skaffander dreinblickend, geht auf keine Netzhaut. Irgendwann, als er erst vom Osten in den Westen ging und später dann nach Hollywood, hatte er verlautbart, es seien künstlerische Aufgaben, die ihn lockten. Das aber muss lange, lange her sein . . .

Dass es zu diesem Film in Deutschland keine Pressevorführung gab, scheint allein jener Arroganz der Macht Hollywoods geschuldet, die der restlichen Welt – stoisch auf die immer noch zutrauliche SF-Gemeinde hoffend – solche Blindgänger im Sixpack unterjubelt. Früher hieß so etwas Kulturimperialismus, heute regt sich keiner mehr auf.

Einen Unterschied gibt es: Das Gemütspolster (aus dem man sich aufrafft und nach einem miserablen Film wie diesem immer wieder neu ins Kino geht) und der Zuschauervorrat sind in den USA ungleich größer, und das nicht nur, weil das Fernsehen hier noch viel, viel dümmer ist und macht.

Der Film läuft in den USA seit dreizehn Wochen im Kino, zwar lange abgeschlagen, hat aber immerhin schon über 67 Millionen Dollar eingespielt – so viel kann er nicht gekostet haben. Was ist es doch für ein Standortvorteil, Filme, egal wie gut oder schlecht, zu machen in einem Land, wo es genug Schafe in gutem Glauben gibt, auf die sie immer wieder losgelassen werden können . . .?

In aller Munde brachte sich der Film allerdings mit einem Werbeclip, der zum alljährlichen Super Bowl ausgestrahlt wurde. Da sitzt die ganze Family am Fernseher und wartet auf die neuesten und teuersten Spots des Jahres, hin und wieder unterbrochen von den Rangeleien der teuersten Football-Monster. Aber das ist genauso amerikanisch wie Lucas – der hat sein Geld auch mit den Abziehbildern seiner blassen Mimen auf Pepsi-Dosen gemacht. Hauptsache: erfolgreich. Das genau ist der eigentliche Special Effect des amerikanischen Kinos heute, und dagegen können die Europäer zehnmal den Handelsraum des Euro erfinden . . . – diese Übermacht scheint in jeder Dimension unschlagbar.

Eine Erwähnung verdient „Mission to Mars“ dennoch: Gestartet wurde der zum größten Teil mit digitaler Aufnahmetechnik gedrehte Film in einem guten Dutzend „Digitaler Kinos“, was bedeutet, dass diese ihn auch mit Hilfe digitaler Projektoren – bunter, heller, schärfer – vorführten. Das allerdings macht die Kluft zwischen kinematografischem Schwachsinn und unbestritten technisch-revolutionärem Erfindergeist nur noch größer, steht doch am Ende hinter all dem nicht der Krieg der Sterne, sondern der zwischen Disney und Sony. George Lucas liefert nur die Waffen dazu, und zwar an beide Seiten.

„Mission to Mars“. Regie: Brian De Palma. Mit Don Cheadle, Kim Delaney, Tim Robbins, Armin Mueller-Stahl, Gary Sinise u. a., USA 2000, 110 Minuten