„Ziel ist ein offener Bürgerkrieg“

Der baskische Nationalismusgegner und frühere ETA-Führer Jon Juaristi über die Spaltungsstrategien der heutigen ETA nach der Ermordung seines antinationalistischen Mitstreiters José Luis López de la Calle am vergangenen Sonntag

Interview REINER WANDLER

taz: Mit dem Anschlag auf José Luis López de la Calle hat ETA erstmals einen Journalisten ermordet. Wie ist das zu erklären?

Jon Juaristi: Ich glaube nicht, dass José Luis López de la Calle wegen seiner Mitarbeit in der Tageszeitung El Mundo erschossen wurde. Er war Kolumnist, und insofern so sehr Journalist wie wir alle. ETA hat mit diesem Anschlag vielmehr die demokratische Bewegung gegen den totalitären Nationalismus zum Ziel. José Luis López de la Calle war einer der Gründer des Forums von Ermua, einer Vereinigung von Intellektuellen, Künstlern und Journalisten, die nach der Entführung und Ermordung des Gemeinderates in Ermua, Miguel Angel Blanco, 1997 entstanden ist. Mit seiner Ermordung versucht ETA den Teil der Bevölkerung einzuschüchtern, der nicht mit ihrem Nationalismus einverstanden ist.

Es entsteht der Eindruck, als wolle ETA zudem die demokratischen Parteien in nicht nationalistische und nationalistische spalten.

Die ETA-Führung weiß, dass unter den derzeitigen Verhältnissen und mit demokratischen Mitteln die Unabhängigkeit nicht zu erreichen ist. Denn die Mehrheit der baskischen Bevölkerung möchte keine Unabhängigkeit. Ich wage gar zu behaupten, dass ein wichtiger Teil der regierenden Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) keine Loslösung von Spanien will. ETA versucht deshalb den Konflikt innerhalb der Bevölkerung zu schüren und die ganze baskische Gesellschaft zu spalten. Das Ziel ist ein offener Bürgerkrieg.

Nach der Ermordung von José Luis López de la Calle riefen die baskische Regierung und das Forum von Ermua zu getrennten Protestkundgebungen auf. Geht die Spaltungsstrategie der ETA bereits auf?

Ich weiß, dass wir uns mit der Mobilisierung des nicht nationalistischen Teils der Bevölkerung auf die Konfrontation einlassen. Aber wir haben keine andere Möglichkeit. Solange die PNV an ihrer nationalistischen Blockbildung mit dem politischen Arm ETAs, Euskal Herritarrok (EH) festhält, können wir auch mit dem Teil der Nationalisten, der treu zu den gewählten Institutionen steht, nicht zusammen auf die Straße gehen.

Sie gehen sogar soweit, der baskischen Regierung ihre Legitimität abzusprechen.

Natürlich. Die baskische Regierung kam mit den Stimmen der Abgeordneten von EH zu Stande. Das war das Ergebnis eines geheimen Paktes der PNV und ihrem Koalitionspartner EA mit ETA. Diese Konstellation nimmt der Regierung jegliche Legitimität.

Die PNV wollte damit den Waffenstillstand von ETA vom September 1998 unterstützen. Vor fünf Monaten kehrte ETA zu den Waffen zurück. Was für ein Spiel treibt ETA?

ETA will vor allem der PNV die Führungsposition der baskischen Gesellschaft streitig machen. Die PNV steht für ETA von Anfang an für eine schwache, baskische Bourgeoisie, die mit Spanien zusammenarbeitet und damit die baskischen Ideale verrät. Deshalb kann die PNV unmöglich das anführen, was ETA „den Kampf des baskischen Volkes für seine Souveränität“ nennt. Also versucht ETA, die PNV zu neutralisieren und einen Teil ihrer Anhänger für das eigene Lager zu gewinnen. Genau das wurde mit dem Waffenstillstand erreicht. Innerhalb der nationalistischen Bewegung gibt heute ETA die Marschrichtung vor, nicht die PNV. Der Waffenstillstand war nur eine Falle.

Gibt es einen Ausweg?

Wir müssen den demokratischen Block gegen ETA und den Terrorismus wieder aufbauen. Wie vor dem Waffenstillstand müssen sich alle demokratischen Parteien zusammensetzen, egal ob Nationalisten oder nicht Nationalisten.

Die letzten Wahlergebnisse legen nahe, dass es erstmals in der Geschichte der baskischen Autonomie zu einer nicht nationalistischen Regierung kommen könnte. Würde das den Konflikt nicht noch verschärfen?

Genau deshalb halte ich den Aufbau eines demokratischen Blocks für wichtig. Damit der funktioniert, müssen die demokratischen Nationalisten selbstverständlich daran beteiligt sein. Ohne sie ist ein effektiver, gesellschaftlicher Widerstand gegen den Terrorismus nur schwer vorstellbar.

Und was geschieht mit ETA? Mit polizeilicher Repression war der Organisation bisher nicht beizukommen.

Das wurde auch nie ernsthaft versucht. Das Innenministerium war zumindest unter den Sozialisten von Felipe Gónzalez alles andere als effektiv, wenn es um die Bekämpfung des Terrorismus geht. Das hat sich erst mit der Regierung von José María Aznar grundsätzlich geändert. Ich bin davon überzeugt, dass eine Politik der polizeilichen Verfolgung im Rahmen des Rechtsstaates unter absolutem Respekt der Menschenrechte und der Rechte der Gefangenen ihre Wirkung zeigen kann. Die letzten vier Jahre sind der Beweis dafür.

Es verwundert schon, solche Worte ausgerechnet von Ihnen zu hören. Schließlich gehörten Sie lange Jahre selbst der ETA an. Wieso haben sie mit ETA gebrochen?

Das war keine rein individuelle Entscheidung, das war ein Generationswechsel innerhalb von ETA. Viele von uns, die wir 1970 der ETA angehörten, wollten die Gruppe in eine nicht nationalistische, marxistisch-leninistische Bewegung umwandeln. Im heutigen ETA-Umfeld bewegt sich kein einziger der ersten Generation. ETA ist heute eine rein nationalistische Organisation, die Anspielungen auf fortschrittliches Gedankengut zwar einsetzt, aber auch vollständig auf sie verzichten kann.

„Ist es nicht mehr als gerecht, das Recht des baskischen Volkes auf Selbstbestimmung anzuerkennen?“ lautet eine der Standardfragen der Nationalisten. Warum verneinen Sie dies?

Euskadi – das Baskenland als das Vaterland aller Basken – ist eine Erfindung von Sabino Arana, dem Schöpfer des baskischen Nationalismus. Für ihn war das Baskenland nicht einmal eine Nation, sondern der Bund mehrerer Nationen. Die radikalen Nationalisten von EH reden gar nicht mehr von Euskadi, sie sprechen von Euskal Herria. Sie machen das, um sich weiterhin abzugrenzen. Der Begriff Euskadi wird heute von allen Bewohnern im Baskenland akzeptiert. Euskal Herria nicht, denn dies bedeutet „das Volk, das Baskisch spricht“. Das tun aber nur 27 Prozent der Basken – übrigens auch in den Reihen der Nationalisten.

Wie lösen ETA und EH dieses Problem denn ideologisch?

Ganz einfach. Sie setzen die baskische Ethnie mit dem baskischen Nationalismus gleich. Wer in den Reihen von ETA und Umfeld kämpft, gehört zur Ethnie. Wir, der Rest, können Baskisch reden und so viele baskische Nachnamen haben wie wir wollen, wir gehören einfach nicht dazu.