Auch in Kenia: Weiße raus

Eine mystische Jugendbewegung namens „Mungiki“ kämpft gegen die Moderne

NAIROBI taz ■ Die Siedlung Mwiki liegt ein paar Kilometer von einer der großen Einfallstraßen Nairobis entfernt. Überall ist Müll verstreut, zehn Meter hohe Staubwolken fegen ab und zu über den Platz, wo die Versammlung stattfindet. Vorne steht ein Jugendlicher und rappt Stakkato-Sätze in ein Mikrofon.

Das wird mit wechselnden Rednern über drei Stunden so gehen. Trotz der aufpeitschenden Predigten sitzen die rund 100 jungen Zuhörer seltsam bewegungslos da, begrüßen sich, plaudern untereinander und tun nichts, außer ab und zu gemeinsam „Thai“ zu rufen – Kikuyu für Frieden. Der Journalist wird mit Misstrauen beäugt. „Was will denn der Weiße hier?“, heißt es.

Eine der drei Frauen, die da sind, fasst sich dann doch ein Herz: „Wir haben lange genug die Weißen nachgeäfft“, sagt Wanjiru Ndungu. „Wenn du deine eigene Kultur verlierst, wirst du zum Sklaven.“

Zurück zu ihren Wurzeln will die 30-Jährige, zu den Wurzeln der Kikuyus, der größten Bevölkerungsgruppe Kenias. Frauen sollten keine Hosen tragen, keine Schminke und nicht die in Kenia beliebten, glattes Haar imitierenden Haarteile. Nur Sachen aus Afrika. Ndungu hat zwar eine Baseball-Mütze auf dem Kopf und eine bunt bedruckte Jeansjacke um die Schultern. Aber „das ist Baumwolle. Die kommt aus Afrika“, verteidigt sie sich.

So geht es zu bei einem Gottesdienst der Mungiki-Sekte an einem Sonntagnachmittag. Mungiki heißt „Masse“ in Kikuyu. Britische Zeitungen halten Mungiki für eine neue Mau-Mau-Bewegung. Mau-Mau war eine Kikuyu-Landlosenbewegung, die gegen Ende der britischen Kolonialzeit in den 50er-Jahren in Kenias Hochland mit Waffengewalt gegen die weißen Siedler kämpfte.

Mungiki wurde 1987 von sieben Jugendlichen gegründet. Anfang der 90er-Jahre bekam die Organisation eine wichtige Funktion bei der Hilfe für vertriebene Kikuyus. Weil sie kollektiv als Oppositionsanhänger galten, wurden Kikuyus vor den Wahlen 1992 in Massen aus der Region Rift Valley verjagt, Hochburg des Präsidenten Daniel arap Moi. Inzwischen gibt es Mungiki überall, wo es Kikuyus in Kenia gibt.

Mungiki-Sprecher und -Gründungsmitglied Ndura Waruinge versucht, der Sekte eine politische Rolle zu geben. Mungiki nimmt jetzt an Studentendemos teil und tritt für eine Verfassungsreform ein. Die Moi-Regierung nennt Waruinge „neokolonial“. Am 23. April griffen 3.000 Mungiki-Jugendliche eine Polizeistation in Nyahuru an, im nördlich von Nairobi gelegenen Hochland. Sie wollten drei festgenommene Anhänger befreien.

Die Anhänger in der Siedlung Mwiki schnupfen ostentativ Tabak aus kleinen, mit Ziegenfell überzogenen Täschchen – wie die Vorväter eben, soll das bedeuten. Aber wie alles bei Mungiki ist das eher ein buntes Konglomerat aus Tradition und Jugendkultur. Andere rauchen Marihuana und begrüßen sich wie Ghetto-Jugendliche – eine Faust wird entgegengestreckt und dann zum Herz geführt.

Wie viele Anhänger genau die Sekte hat, ist nicht klar, aber die virtuelle Anhängerschaft ist groß. Es gibt zu viele perspektivlose Jugendliche in Kenia, die einfach nicht verstehen, warum einige wenige – und dazu oft Weiße! – im Wohlstand leben und sie nicht. Für dieses Problem hat Mungiki eine Lösung, meint die junge Frau in Mwiki: „Gott wird die Kikuyus segnen. Er wird unsere Klagen erhören.“PETER BÖHM