Serielle Langeweile

Malte Ubenaufs Theaterkomposition „Cotta“ stolpert leider nicht nur über Ovid  ■ Von Oliver Törner

„Bitte so hinsetzen, dass keine Lücken entstehen“, sagt die Platzanweiserin. Schon das Sitzen in einfacher Reihe rings um die quadratische Spielfläche ist programmatisch vorausbestimmt, vermutlich auf symmetrisch stimmige Raumoptik ausgelegt. So wie alles in Cotta, einer „Theaterkomposition“ nach Texten von Ovid, besonders den Metamorphosen, und Christoph Ransmayrs Die weite Welt genau berechnet ist.

Malte Ubenauf mit dem „ensemble rabiat“ und Komponist Jan Dvorak benennen im Pressematerial ihre mathematischen Grundlagen. Sie nähern „sich formal einer musikalischen Kompositionstechnik an, die in den 50er Jahren durch Komponisten wie Olivier Messiaen, Pierre Boulez und Karl-Heinz Stockhausen vertreten wurde: das serielle Prinzip. Im Zentrum dieser Technik stehen grundlegende Zahlenreihen, die vielfältige Kombinationen“ erlauben. „Das serielle Prinzip lässt sich in seinen ästhetischen Grundzügen auf die Theaterdramaturgie anwenden.“ Soweit die These.

Der vielgerühmte Generalmusikdirektor Hamburgs, Ingo Metzmacher, ist ebenfalls ein Verfechter der Komponisten der Moderne. Um sie dem Publikum schmackhaft zu machen, plaudert er gerne mal einführend. So was hat bei Cotta eindeutig gefehlt. Hier haben beim „Junge-Hunde-Festival“ auf Kampnagel ein paar junge Macher eine eigene Welpenschule aufgemacht, und die Beobachter scheitern an den zugehörigen Regeln. Und vom allseits sichtbaren Spielfeldrand ließ sich noch nicht mal leicht vor Ende fliehen.

Fünf Spieler sitzen im Schummerlicht hinter niedrigen, lückigen Bretterzäunen. Eine singt zusammengekauert vor sich hin, ein anderer zupfelt an Stoffläppchen herum, drei weitere bringen Silberdrähte über Campingkochern zum Glühen und löschen sie zur Schwärze ab. Jeder ist mit seinem Körpermikro so dicht am Geschehen, dass kein Rissgeräusch, kein Flammenfauchen ungehört verschallt, eingeknüpft in einen Klangteppich aus dissonanten Violinenklängen, verschwommenen Lautsprecherdurchsagen und allerlei Effekten. Ein Mann mit Poposcheitel, dunklem Anzug und Jetset-Köfferchen tritt dazu. Er sucht „Naso“, fragt reihum und bekommt nur schwer Verständliches zur Antwort, denn Ralph Glander, Joachim Kappl, Peter Per, Karen-Ann Roschild, Michael Röhrenbach und NezÛ Selbuz sind stimmlich ebenfalls gut verstärkt.

Ist die Atmosphäre anfangs noch geheimnisvoll, geht im choreografierten Mit- und Durcheinander auf der Bühne das Interesse langsam, aber sicher verloren. Welcher Text ist von welchem Autor, fragt man sich noch eine Weile. Aber will man das bei Sätzen wie „dem Rauch eignet Erfahrung“ denn wirklich wissen? Ein schöne Idee, den Zaunlatten Klamotten anzuziehen, die Mitspieler haben dadurch Anlass, ihre Hemden und Röckchen, Mäntel und Lappen abzulegen. Und der gelackte Ankömmling kann nach und nach ihnen stofflich näher kommen, sich ihnen anverwandeln, indem er sich bei den Klamotten bedient – und auch bei den herumliegenden Artefakten. Bis er nicht mehr sucht, sondern, äußerlich verwandelt, eben auch einer von den verhuschten Lemuren wird.

„Alles fließt“, hört man mal jemanden sagen. „Eine Welle in die andere.“ So auch das „Stück“. Es zerfließt im Wechselbrei von Text, Licht, Kleidung, Sprache, Figuren und Geräuschkulissen. Doch sind dies, um im Bild zu bleiben, keine natürlichen Wellen. Diese „Metamorphosen“ sind minutiös gewollte. „Er machte zum Felsen sein brüchiges Herz“, heißt es an anderer Stelle. Entsprechend setzen die Macher an die Stelle des Lebens ihre Berechnungen. Und die lassen den Beobachter eiskalt. „Durch dieses Werk werde ich fortdauern, und mein Name wird unzerstörbar sein“, heißt es gegen Schluss. Das mag für Ovid sicher gelten. Aber bis wir uns die Namen der Macher dieser Wandlungen auch nur merken wollten, müss-ten sie ihren Stücken statt Reißbretttinte ein bisschen Blut in die Adern pumpen.

noch heute, 20 Uhr, Kampnagel, k6