unter hinrennern (1): mit jo rau bei rtl
:

von MICHAEL RINGEL

„Gnädige Frrauu!“ Ich erkenne die Stimme hinter meinem Rücken sofort: Klaus Bölling, der alte Aufreißer. Seit ich einmal vor Jahren mit ihm im Aufzug gefahren war, wo eine junge Studentin an den Lippen des ehemaligen Regierungssprechers klebte, kannte ich seinen Trick: Bibelzitate. „Wie es schon im Buch der Prediger heißt ...“, begrüßt Bölling jetzt eine goldbehängte Dame am Nachbartisch und legt gleich mächtig los. Inzwischen in die Jahre gekommen, drückt der Kopf schwer auf die hochgezogenen Schultern. Bölling stolziert durch die Menge, als ob er jeden Moment den harten Schlag eines gehörnten Ehemanns erwartet, den es abzufedern gilt.

RTL eröffnet sein Hauptstadt-Studio mit einem Frühlingsfest, und alle Hinrenner sind gekommen. Eichel, Riester, Clement – das halbe Kabinett fährt vor. Wer wichtig ist, hat einen Schrank mit Knopf im Ohr an den Absätzen – möglichst kleiner als der Hauptdarsteller. Das Defilee der Arschgesichter will nicht abreißen. Schnepfen im Schulterfreien stöckeln ins Blitzlichtgewitter. Udo Walz springt, nein hechtet vor die Linsen. Fernsehrüben und buntes Kraut wackeln Richtung VIP-Lounge. Genau wie der wichtigste Mann des Tages. Jedenfalls für mich: ich. Ein Strahlen für die Klatschknipser am Eingang, ein Handschlag dem Gastgeber und hinein geht’s in die Moet & Chandon-Welt. Warten auf Jo Rau.

Beim Champagner ramme ich Ernst Uhlau erst mal den Ellenbogen in den straffen Bauch. Finster sieht mir der Geheimdienstchef nach. Später steht er allein zwei Tische weiter und blickt wieder düster herüber. Wahrscheinlich sinniert „U“ gerade darüber, welchen Nullnull-Agenten er auf mich ansetzt.

Vorab gibt es Fish & Chips gegen den kleinen Hunger und Jo Rau. Am Tisch wird es langsam eng. Ach, Generaldirektor Eberharter ist auch hier, Bussi für die Gattin. Die Kinder sind ja beim Fernsehen. Und haben „die Alten, haha“ mal eingeladen in die Hauptstadt. „Zu Hause in der Provinz erleben wir ja so was nicht. Aber Berlin ist halt eine Weltstadt.“ Die Mayonnaise versucht langsam den Schlund hinaufzukriechen. Jo Rau ist immer noch nicht da. Champagner. Mehr Champagner. Oder doch besser Bier. Auch wenn es nur Sauerland-Plörre ist.

Vor dem Tresen renne ich Frau Süssmuth über den Haufen. Warum muss Rita aber auch so klein sein? Ah, endlich ein angenehmes Gesicht: Kollegin Gaus hat das Buffet eröffnet und sich mit einem Spargel-Teller an die Theke gestellt. Sehr clever, diese Politischen Korrespondenten. An der Zapfsäule kommen sie alle vorbei. Warten auf Jo Rau.

Am Heimattisch hat sich inzwischen die B.Z. breit gemacht. Die Springer-Herren sind laut, sehr laut. Bei der Konferenz sei die Nachricht gekommen, die deutsche Geisel auf Jolo würde freikommen. Einstimmig hätten alle gejohlt: „Heute noch nicht, heute noch nicht.“ Das sei aber richtig zynisch gewesen, prustet und schackert es in der Runde, die jetzt die Gläser plingen lässt. „Taz-Klatschreporter schlug stellvertretendem Chefredakteur der B.Z. die Schnauze ein“, wäre viel zu lang für eine B.Z.-Schlagzeile. Also lassen wir das mit dem Skandal heute. Und da rollt auch endlich Jo Rau heran. Zeit für den wichtigsten Mann des Abends zu gehen.