Unterwegs in Harald Juhnke

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) setzen zukünftig auf Emotional Branding

„Ick fahr mit Verona Feldbusch an den Wannsee!“ Dieser Satz, für jeden normalen Berliner ein unerreichbarer Traum, könnte nun bald schon ganz alltäglich werden. Im Rahmen der Tarifpreisanpassung zum 1. Januar 2001 planen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) einen Werbecoup der besonderen Art: Das starre Zahlensystem der Bahn- und Buslinien soll – einmalig in Europa – durch Namenspatenschaften von Prominenten ersetzt werden.

„Zur besseren Orientierung erhalten die in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Strecken Männernamen, während die horizontalen Linien Frauennamen bekommen“, erklärt BVG-Sprecher Rainer Mann auf einer Pressekonferenz im Hotel Adlon: „In Zukunft wird es dann nicht mehr heißen, ich fahr mit der U 2, sondern mit ‚Axel Kruse‘ ins Olympiastadion. Oder nicht mehr mit der Linie 127, sondern in ‚Evelyn Künnecke‘ durch den Wedding.“

Erarbeitet wurde das Konzept von der Neuköllner Trendagentur Schahm & Aykel. „Zweck der Umbenennung ist ein Emotional Branding, das aus Sicht des Konsumenten echtes Added Value verspricht“, ergänzt Marketingstrategin Kathrin Passig im gewohnt eleganten Jargon ihrer Branche. „Wir haben uns mit Bahn und Lufthansa gebenchmarked, und wir gehen davon aus, dass wir mit diesem Schritt das Chancenpotential noch einmal multiplizieren können.“

Wie die über 200 Verkehrsverbindungen im Einzelnen heißen werden, ist aber noch in der Planungsphase. „Im Gegensatz zur Deutschen Bahn mit ihren ICE-Benennungen ‚Sibylla Merian‘ oder ‚Michel Friedmann‘ wollen wir nur echte Sympathieträger“, sagt die Marketingstrategin, „Stichwort: ‚Neue Berliner Republik‘.“ Die Buslinie 100 beispielsweise, nach Fahrgasterhebungen die „vollste Buslinie Europas“, soll künftig „Harald Juhnke“ heißen. Man glaubt es kaum.

Lobenswert dagegen ist der angedachte Kiez-Bezug. Die Neuköllner Linie 241 wird nach Feridun Zaimoglu benannt, dem Erfinder des Ausländersprechs, mit „Carsten Flöter“ geht es über den Viktoria-Luise-Platz und für die Strecke am Holocaust-Denkmal entlang ist besondere Sensibilität gefragt. „Erst haben wir gedacht, der Linie den Namen eines prominenten Opfers zu geben. Aber das wäre ja widersinnig“, sagt BVG-Sprecher Rainer Mann. „Wahrscheinlich wird sie doch nach jemandem heißen, der sich auch verdient gemacht hat. Lea Rosh oder Ralph Giordano. Das gibt den Leuten zu denken.“

Allein das Nachtbussystem bleibt unangetastet. „Die Gefahr“, so der BVG-Sprecher, „dass Betrunkene nachts lieber in ‚Sonja Kirchberger‘ einsteigen als in ‚Inge Meysel‘ und dann wer weiß wo landen, ist einfach zu groß.“

Ob die hochfliegenden Pläne der BVG ihr Ziel erreichen werden oder ob nicht in the long run einfach Product-Placement betrieben werden soll, steht allerdings in den Sternen. So sieht der Entwurf zum Beispiel vor, die Linie 7 nach dem „verdienten Volksschauspieler Heiner Lauterbach“ zu nennen, der sich ja bekanntlich nicht zu schade ist, für Potenzmittel zu werben. „An ein Cross-Marketing von Promi und Produkt ist hier erst in zweiter Linie gedacht“, heißt es im Konzeptpapier noch reichlich diffus. Sollen wir also bald in „Verona Feldbusch“ mit Iglu-Rahm-Spinat-Werbung überschüttet werden? Müssen wir in potenzmittelfarbenen U-Bahnen namens „Heiner Lauterbach“ demnächst auch noch erhöhte Tarife bezahlen? Der Verdacht lässt sich leider nicht von der Hand weisen.

Für Puristen wie den Nahverkehrsfan und Vorstandsvorsitzenden der „Freunde der BVG“ Holm Friebe ist die Umbenennung sowieso ein Riesenskandal. Bereits im Juni startet er mit seinem Verein einen mehrstündigen Hungerstreik gegen den „Namenswahnsinn“. „Das dient doch nur dazu, von den bekannten Problemen der BVG abzulenken“, sagt Friebe, und fügt etwas unbeholfen, aber treffend hinzu: „Und überhaupt, das Wesen aller Dinge ist die Zahl. Und nicht Heiner Lauterbach oder irgend so ein Grello.“ Doch die BVG gibt sich kompromisslos: „Wir nehmen diese Proteste natürlich ernst. Aber das ist wie mit den Postleitzahlen. Erst sind alle dagegen und hinterher dann voll auf Linie. Das ziehen wir durch.“

Als besonderes Schmankerl ist vorgesehen, eine zentrale S-Bahn-Linie auf den Namen eines beliebigen Fahrgastes zu taufen. Wer der Glückliche sein wird, entscheidet das Los. Bewerben für das Namenspatronat kann man sich ab sofort bei allen BVG-Service-Punkten oder im Internet unter www.parkverbot.org/bvg. Einzige Voraussetzungen sind „ein fester Wohnsitz in Berlin und ein aussagekräftiger Name“. Was immer das heißen mag.

WOLFGANG HERRNDORF

Hinweis:Für die Strecke am Holocaust-Denkmal entlang ist besondere Sensibilität gefragt. Sie wird nach jemandem benannt, der sich verdient gemacht hat: Lea Rosh oder Ralph Giordano