Zellen aus dem Katalog

Das Herstellen von geklonten menschlichen Stammzellen ist in Deutschland verboten. Doch auch ohne das Embryonenschutzgesetz zu ändern, dürfen die Wissenschaftler damit arbeiten

von WOLFGANG LÖHR

Die Forscher sitzen bereits in den Startlöchern. Bisher noch dürfen deutsche Wissenschaftler nur mit embryonalen Stammzellen experimentieren, die aus Tieren, Mäusen vor allem, gewonnen wurden. Das könnte sich demnächst ändern. Ist das eigentliche Ziel doch, endlich die gewonnen Erkenntnisse auch an menschlichen Stammzellen auszuprobieren. Zwar ist hierzulande nach dem Embryonenschutzgesetz die „verbrauchende Embryonenforschung“ untersagt. Weder die Gewinnung von Stammzellen aus abgetriebenen Föten noch die Verwendung von Embryonen, die bei einer IVF übrig geblieben sind, oder das Klonen von menschlichen Zellen ist erlaubt. Doch es gibt einen Weg das deutsche Gesetz zu umgehen. Die Forschungsobjekte werden einfach aus dem Ausland importiert.

Erlaubt oder nicht? Diese Frage hängt ganz entscheidend davon ab, ob es sich bei den Stammzellen um so genannte totipotente Zellen handelt, also Zellen, die noch ihr vollständiges Entwicklungspotenzial besitzen und aus denen noch ein lebensfähiger Embryo entstehen kann. Das Forschen mit diesen Zellen ist nach dem Gesetz eindeutig verboten. Handelt es sich jedoch um Zellen, die nur beschränkt entwicklungsfähig sind, darf mit ihnen experimentiert werden.

Ein kleiner, aber entscheidenden Unterschied, der auch bei dem aktuellen Streit um den Gen-Check bei künstlich befruchteten Eizellen, der Präimplantationsdiagnostik (PID), eine zentrale Rolle spielt. Die PID wird bei Embryonen durchgeführt, die sich im Acht-Zell-Stadium befinden. Sollten die Zellen in diesem Stadium ihre Totipotenz bereits verloren haben – diese Meinung wird von der Bundesärztekammer vertreten –, wäre PID auch ohne Änderung des Emryonenschutzgesetzes zulässig.

Noch wird unter den Experten darüber gestritten, wann die Zellen ihre volle Entwicklungsfähigkeit verlieren – im Acht-Zell-Stadium oder erst, wenn sich die Zellen noch ein- oder zweimal geteilt haben. In diesem späteren, dem pluripotentem Stadium darf jedenfalls auch mit Embryonalzellen geforscht werden. Das Dilemma ist nur, dass diese Zellen, unabhängig davon, ob sie nun durch eine künstliche Befruchtung oder durch die beim Klonschaf Dolly angewandte Methode hergestellt wurden, zuvor totipotent waren. Die Gewinnung auch von nicht mehr voll entwicklungsfähigen Zellen ist somit in Deutschland nicht erlaubt. Zudem verbietet das Gesetz, dass Embryonen zu anderen Zwecken als zu einer Herbeiführung einer Schwangerschaft hergestellt werden.

Da ist es nahe liegend, dass die Stammzellen in Ländern hergestellt werden, die weniger strenge Gesetze haben, und als pluripotente Zellen nach Deutschland eingeführt werden. Der ethisch umstrittene und bei uns verbotene Teil eines Forschungsprojektes wird ausgelagert. „In der Tat ist ein Umgehen des Verbots möglich“, bestätigte vor kurzem der ehemalige langjährige Mitarbeiter im Justizministerium, Detlev von Bülow, auf einer Tagung über Stammzellforschung in Berlin. Zum Beispiel, wenn der Forscher sich die Zellen aus den USA liefern lasse. Er mache „sich nur strafbar, wenn er den Kollegen ausdrücklich zu Herstellung der Zellen anstiftet“, sagte der Rechtsexperte von Bülow, der Anfang der 90er-Jahre an der Formulierung des Embryonenschutzgesetzes mitgearbeitet hatte. Nach Bülow könne ein Forscher hierzulande aber ohne Angst vor einer Strafe die Zellen beziehen, indem er in einem Bestellkatalog einfach die gewünschten angebotenen Foschungsobjekte ankreuzt.

Noch gibt es den Stammzell-Katalog nicht. Aber in mehren Ländern sind bereits Gesetzesinitativen angelaufen, die die Herstellung und das Forschen mit embryonalen Stammzellen freigeben sollen. In Großbritannien, wo heute schon mit frühen Embryonen, bis zum 14. Tag nach der Kernverschmelzung, geforscht werden darf, wird erwartet, dass demnächst auch das Klonen zu therapeutischen Zwecken erlaubt wird. Ebenso in Schweden.

In den USA ist das Experimentieren mit Stammzellen heute schon erlaubt, vorausgesetzt, dass die Forschungen privat finanziert sind. Öffentliche Gelder dürfen nicht in Forschungsprojekte fließen, bei denen Embryonen verbraucht werden. Das könnte sich demnächst ändern. Im US-Senat wird derzeit darüber diskutiert, ob das Finanzierungsverbot gelockert werden soll. Auch die US-Gesundheitsbehörde, die National Institutes of Health (NIH), die einen Großteil der medizinischen Forschungsprojekte finanziert, hat bereits einen Entwurf für neue Förderrichtlinien vorgelegt, die schon im nächsten Monat verabschiedet werden sollen. Demnach darf zwar auch künftig die Gewinnung von Stammzellen aus überzähligen Embryonen nicht finanziert werden, aber das Forschen und Experimentieren mit derartigen Zellen soll nach den neuen Richtlinien erlaubt sein. Als förderungswürdig sollen nur Projekte eingestuft werden, die mit Stammzellen arbeiten, die aus überzähligen IVF-Embryonen gewonnen werden. In der Diskussion um das Für oder Wider von neuen Förderkriterien spielt auch in den USA die Frage, ob die Zellen noch toti- oder schon pluripotent sind, eine wichtige Rolle. Den Herstellungsschritt umgeht das NIH, die Fördergelder sollen erst dann fließen, wenn die Zellen nicht mehr das volle Entwicklungspotenzial besitzen.

Unterstützung erhalten die Embryonenforscher teilweise von prominenten Betroffenen. So forderte in einem Senats-Hearing der US-Schauspieler Christopher Reeve, der seit einem Unfall querschnittsgelähmt ist, dass das Förderverbot fallen soll. Bisher, so Reeve, würden Embryonen weggeworfen, die nach einer künstlichen Befruchtung übrig bleiben. Warum sollten diese nicht für die Forschung benutzt werden?

Unabhängig davon, ob nun die Richtlinien und Gesetze geändert werden, haben einige US-Universitäten bereits einen Ausweg gefunden. So wurde an der University of Wisconsin einfach eine gemeinnützige Firma gegründet, die WiCell Research Institution, die nächsten Monat den Vertrieb von embryonalen Stammzellen aufnehmen will. Die Zellen wurden zwar an der Wisconsin-Universität isoliert und in Kulturschalen vermehrt, finanziert wurde das Projekt jedoch von Geron, einem kalifornischen Unternehmen, das auch die weltweiten Patentrechte für diese Zelllinien besitzt. Geron hat auch die Lizenz für die in Schottland entwickelte Methode erworben, mit der das Klonschaf Dolly hergestellt wurde. An Bezugsquellen wird es den deutschen Forschern also nicht fehlen.

Für den Transplantationsexperten Axel Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) ist es dennoch unerlässlich, dass die Geseze freizügiger gestaltet werden. Auf der Berliner Tagung sezte er sich für eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes ein. „Therapeutisches Klonen muss möglich sein“, so Haverich, „es darf nur nicht zur Entwicklung von vollständigen Embryonen führen.“ Haverich hofft, dass mit embryonalen Stammzellen der Engpass an transplantierbaren Spenderorganen überwunden werden kann.

Während für die parlamentarische Staatsekretärin im Gesundheitsminsterium, Ulrike Riedel, noch nicht ausgemacht ist, dass der Import von embryonalen Stammzellen erlaubt bleiben soll – sie fordert zuvor eine umfassende Diskussion darüber – , schlägt ihr Kollege aus dem Forschungsminsterium, Wolf-Michael Catenhusen, vor, dass ein Gremium bei der Bundesärztekammer die Arbeiten mit Stammzellen kontrolliert. Damit kein Missbrauch betrieben werde.