Zu Besuch aus der Zukunft

Neulich auf der Mensch-Maschine-Baustelle: Anthony Rother klingt auf „Simulationszeitalter“ zwar wie Kraftwerk, aber sagen sollte man ihm das nicht

Man frage ihn nicht nach Kraftwerk. Und schon gar nicht, wie er das gemacht hat, dass sich das alles genauso anhört. Falsche Frage. Auch wenn es als Kompliment gemeint ist. Bisher war Anthony Rother einer der Helden des Neo-Electro. Schon Titel wie „Sex With The Machines“ oder „Little Computer People“ verrieten: Hier hat es jemand mit Maschinen. „Simulationszeitalter“ ist sein erstes Album. Und nun fragen ihn alle nach Kraftwerk.

„Biomechanik, der Mensch belebt den Stahl./ Gedanken integral/ die Seele digital./ Biomechanik, das Leben wird codiert./ Gefühle generiert/ Natur perfektioniert.“ Rother hat eine Vision. Das Bild einer Menschheit, die dabei ist, den Schritt vom Mensch zum Schöpfer zu machen, die sich nicht mehr nur der Maschinen bedient, sondern von diesen ersetzt wird. Eine Vision, die sich, geht es an ihre künstlerische Umsetzung, nicht auf Musik beschränkt, sondern alle möglichen Elemente beinhalten soll: Visuelles, Narratives – das volle Gesamtkunstwerk-Programm.

Erst einmal das Album: „Simulationszeitalter“. Die Ouvertüre. Und – hört sich tatsächlich an wie Kraftwerk. Aber Anthony Rother hat gute Gründe, Musik zu machen, die an Kraftwerk erinnert. Denn wer immer sich mit der künstlerischen Umsetzung technisch-sozial-religiöser Widersprüche befasst, wird früher oder später auf der Mensch-Maschine-Baustelle landen und mit Erstaunen feststellen, dass sich dort nicht allzu viel Volk herumtreibt. Zumindest nicht in der Abteilung für die großen künstlerischen Visionen. Sonst spazieren wir natürlich alle dort herum, denn im Grunde reicht es schon, sich seine Armbanduhr umzulegen oder ein Schnupfenmittel einzunehmen. Die Abteilung jener Widersprüche ist aber verwaist. Vielleicht, weil jeder andere Angst hätte, dass irgendeine Zipfelmütze anspaziert kommt und sagt: Hey, bisschen viel Kraftwerk gehört, oder? Dabei macht Rother tatsächlich etwas anderes als Kraftwerk, denn seit den späten Siebzigern ist viel Zeit vergangen, und Atomkraft interessiert niemanden mehr. Was hatten Kraftwerk denn gemacht? Sich im beginnenden Mikroprozessor-Zeitalter als Mensch-Maschine-Widerspruch verkleidet. Das sah Ende der Siebziger aus wie ein Roboter. Nun haben wir aber schon das neue Millennium, und es werden nur zum Spaß Roboter gebaut, die Fußball spielen können oder aussehen wie Hunde. Das heißt, sie machen uns nach. Die neuen, beängstigenden Mensch-Maschine-Baustellen sind Gen- und Nanotechnologie.

Also: „Simulationszeitalter“. Ein Besuch aus der Zukunft in unserer Gegenwart. Eine Reflexion davon, dass man alles machen kann, alles berechnen kann, alles simulieren kann, aber dass man sich nicht aus der Verantwortung stehlen darf. Ein Almanach. Subjektlose Texte, von strahlender Einfachheit: „Erzählten sich die Engel, dass dies die Schöpfung Gottes sei./ Erzählten sich die Götter, dass dies ein wundersamer Zufall war.“ Und all das ist erst der Anfang. TOBIAS RAPP

Anthony Rother: „Simulationszeitalter“ (Psi49net/ Intergroove)