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: An der Côte d’Azur wird selbst die Mitgliedschaft bei der IG Medien zur glamourösen Tat

PUTZKOLONNEN, REAL UND VON LOACH

So überkandidelt und weltfern sich das französische Repräsentationsbedürfnis in Kostümfilmen wie „Vatel“ auch immer ausnimmt, ein kulturhistorischer Rest im Heute lässt sich doch niemals ganz verleugnen. „Wir bauen das ganze Gebäude mit historischen Dekorationen zum Schloss um, für heute Abend“, erzählt mir verschwörerisch eine der kleinen, dicklichen Figuren im blauen Jackett, die sich deutlich von den kahlrasierten und breitschultrigen Oberaufsehern im Festival-Palais unterscheiden.

Für den Umzug von Versailles nach Cannes wurde die halbe Logistik des Festivals einen Tag lang lahm gelegt, wurden dramatische Abtreibungsszenen auf der Leinwand von kreischenden Bohrmaschinen gesprengt, und hunderte von hysterisierten Menschen irrten zwischen den Kinos orientierungslos an Louis-XIV-Möbeln und schweren Samtvorhängen entlang. Alle Aus- und Eingänge waren von wichtigtuerischen Beamten blockiert, für die große „Vatel“-Eröffnungsgala mit Premierminister – und plötzlich war auch der Geist von Versailles gar nicht mehr so fern.

Premierminister Lionel Jospin (den man nach der letzten Vorstellung als schon wieder den Ausgang suchendes Fußvolk immerhin von oben erspähen konnte, wenn man nicht in einem der überlasteten Aufzüge feststeckte) wirkte aber trotz Smoking sehr steif und bedröppelt zwischen goldfarbenen Spiegelchen, gläsernen Lüstern, Dekotapeten, Gobelinteppichen, Champagnerströmen und seidenbestrumpften Kellnern – irgendwie wie der ewige Angestellte, völlig repräsentationsresistent und damit eigentlich gar nicht so unsympathisch. Um Missverständnissen vorzubeugen: Als Journalist kann man den Aufmarsch der Prominenz neuerdings bequem vom Kinosessel aus verfolgen.

Heute Morgen sah man dann noch übermüdete Putzkolonen letzte Canapé-Krümel und zerdepperte Champagnergläser entfernen – und war schon wieder im nächsten Film beziehungsweise in diesem merkwürdig zwischen Filmerlebnissen und unwirklicher Festivalwirklichkeit oszillierenden Trancezustand.

Tatsächlich einen Film über Putzkolonnen hat Ken Loach (Foto) gedreht, über ausgebeutete Mexikaner in Los Angeles. Konterrevolutionär gestimmt könnte man „Bread and Roses“ als einen überspannt-sozialrevolutionären Loach sehen, der uns die Utopie der Solidarität penetrant mit fröhlichen Gewerkschaftsdemos à la Fiesta Mexicana einhämmert. Mit einem bescheidenen Rest utopischen Bewusstseins kann man sich aber auch daran erfreuen, wie die mexikanischen Putzkräfte eines Wolkenkratzers in Downtown L. A. für bessere Löhne und menschenwürdige Arbeitsbedingungen kämpfen. Wie sie mit Hilfe eines jungen, flammenden Studenten staubsaugend und skandierend die Partys der Upper Ten sprengen und eine Mega-Reinigungsfirma in die Knie zwingen. Ja, der versöhnliche Multikulti-Aspekt wird ein bisschen übertrieben, ja, der Gewerkschaftsfuzzi ist einfach zu nett und Maya, die weibliche Hauptfigur, einen Zacken zu solidarisch.

Ganz beiläufig erzeugt Loach aber dann doch wieder eine Nähe zu seinen Figuren, die zumindest für einen Moment spürbar macht, was es heißt, mit 60 als Illegale den letzten Job zu verlieren. Oder was es bedeuten mag, mit 5,75 Dollar Stundenlohn vier Kinder, einen zuckerkranken Mann und noch die Familie im Heimatdorf über Wasser zu halten.

Und dann plötzlich diese Szene, in der Rosa, eine etwa 40-jährige Frau, den Monolog ihres Lebens hält. Die mexikanische Einwanderin erzählt von ihrer Arbeit als Prostituierte, von den Kindern, die im Bordell geboren wurden, vom Geld, das sie der Familie geschickt hat, von der unendlichen Schlange der wartenden Männer, von der Müdigkeit, vom Scheißleben und dem bisschen Zufriedenheit, das sie vielleicht noch für sich erhofft. Alles bricht aus ihr heraus, und zumindest für die Dauer dieser Szene ist völlig klar, warum Loach Filme über Leute wie Rosa dreht. Nicht, dass wir beim Verlassen des Kinos „Venceremos“ schrien, doch zum ersten Mal hatte meine Mitgliedschaft bei der IG Medien etwas Glamouröses. KATJA NICODEMUS