Raabs RivalInnen

Grand Prix Eurovision in Schweden: 24 Lieder bewerben sich darum, den schwierigsten Popwettbewerb zu gewinnen. Deutschlands „Wadde hadde dudde da“ steht in den Wetten nicht besonders gut da

von JAN FEDDERSEN & THORSTEN PILZ

1. Israel: Ping-Pong mit „Sa’me’Akh“ („Glücklich“). Die vier jungen Interpreten aus Tel Aviv freuen sich auf Stockholm, weil die SchwedInnen (im gleichgeschlechtlichen Sinne) so attraktiv sind. Sagen sie. Und haben sich damit den Zorn der Ultraorthodoxen ihres Landes zugezogen. Ihr Song klingt, als hätte die Neue Deutsche Welle mit einiger Verspätung auch den Nahen Osten erreicht. Dennoch: Sympathisches Auftreten freundlicher junger Menschen soll belohnt werden: Oberes Mittelfeld.

2. Niederlande: Linda Wagenmakers mit „No goodbyes“ („Kein Abschied“). In ihrem Land ist die Sängerin und Jurastudentin bereits bestens bekannt: als Discostimme. Beim Grand Prix Eurovision hat sie alle Chancen auf den ersten niederländischen Sieg, seit 1975 die Gruppe Teach-In mit „Ding-A-Dong“ gewann. Wagenmakers Lied ist mit schunkelfähigem Drum ’n’ Bass unterlegt – und somit bestens geeignet, spontanes Wohlwollen zu erregen.

3. United Kingdom: Nikki French mit „Don’t play that song again“ („Nicht schon wieder diese Leier“). Dieser Auftritt bietet alles: eine Sängerin mit Sechzigerjahrehausfrauenfrisur, Siebzigerjahreshowschritten und Achtzigerjahreschlager. Sie hatte Mitte der vorigen Dekade einen Hit mit dem Remake von Bonnie Tylers „Total Eclipse of the Heart“. Ms. French weiß ihre Popularität durch nette Äußerungen („Ich mag diese sensiblen Jungs“) vor allem in der Homoszene zu festigen. Wird vorne liegen, gewinnen jedoch nur als Notlösung.

4. Estland: Ines mit „Once in a lifetime“ („Einmal im Leben“). Die Achtzehnjährige gilt als die estische Britney Spears, im Hinblick auf Aussehen und Musik jedenfalls. Das muss selbst bei sehr jungen Menschen kein Vorteil sein. Ihr Lied über die große Liebe im Leben kommt eher mehlig als lasziv daher, auch wenn die Melodie eine gewisse Frische zu vermitteln scheint. Das reicht für einen Platz im Mittelfeld. Was nicht schlimm ist: Sie ist ja noch sehr, sehr jung.

5. Frankreich: Sofia Mestari mit „On aura le ciel“ („Uns wird der Himmel gehören“). Mit übertriebener Juvenilität hat es die Chanteuse wahrlich nicht. Sie sah bei der französischen Vorausscheidung wie eine junge Frau aus, die sich dem Rat der Mutter („Reize die Männer nie durch dein Äußeres“) gerne gebeugt hat. Die neunzehnjährige, in Marokko geborene Französin bildet somit einen schönen, weil wohlbeleibten Kontrast zu ihrer baltischen Vorsängerin. Ihr Chanson atmet noch den Geist der frühen Sechzigerjahre. Gediegene Nachtklubware für das spätere Mittelfeld.

6. Rumänien: Taxi mit „The Moon“ („Der Mond“). Die Band hat viele Fans im rumänischen Parlament. Das sollte zu Denken geben. Trotz aller Sphärenklänge merkt man ihrer Ballade über die immergrüne Anziehungskraft des Mondes leider an, dass der Englischunterricht, vor allem in phonetischer Hinsicht, in Rumänien nicht ordentlich gefördert wird. Darum sollten sich die Abgeordneten dringend kümmern. Platz 22?

7. Malta: Claudette Pace mit „Desire“ („Verlangen“). Auf Malta ist sie so bekannt wie bei uns Stefan Raab: eine erfolgreiche Sängerin und Fernsehmoderatorin. Ihr Beitrag hat Schwung, dennoch fehlt ihrem Verlangen der letzte Schliff. Auf Malta bestimmt der Sommerhit. In Stockholm reicht es vielleicht für einen Platz in den Top five.

8. Norwegen: Charmed mit „My heart goes boom“ („Mein Herz macht Bumm“) Der Favorit: drei Frauen, alle Mitte Zwanzig und ausgesprochen knusprig. Sie singen und tanzen auf der Bühne wie die Urenkelinnen der Andrew-Sisters, wobei sie noch Glücksdrogen zu sich genommen zu haben scheinen. Ihr Lied hat wenig Schnickschnack, ist also Pop im besten Sinne. Ein Risiko bleibt: ihre hohen Absätze. Modisch ein Muss, aber: die Sturzgefahr! Nächstes Jahr in Stavanger?

9. Russland: Alsou mit „Solo“ („Allein“). Sie hat schon einiges gesehen von der Welt: Geboren in Tatarstan, zog Alsou im Alter von neun Jahren mit ihren Eltern aus Nordrussland nach England. Ihr Name übersetzt ins Deutsche bedeutet „Rosenwasser“. Diese Infos sind interessanter als ihr prätentiöses Lied. Stimmlich bleibt obendrein jeder Wunsch offen. Fies und leidenschaftslos.

10. Belgien: Nathalie Sorce mit „Envie de vivre“ („Lust auf Leben“). Das Lied ist wie Haarshampoo und Duschgel in einem. Two in one. Wash and go. Ex und hopp. So richtig konnte man sich in Belgien anscheinend in diesem Jahr für einen Song nicht entscheiden: Chanson? Gospel? Nachdenklichkeit? Parfümierter Elan in Noten? Zu viel für drei Minuten. Sehr hinteres Mittelfeld.

11. Zypern: Voice mit „Nomiza“ („Ich glaubte“). Die beiden Vertreter Zyperns sind alte Grand-Prix-Hasen. Beide traten bereits etliche Male im Hintergrundchor auf, der Sänger stand sogar mal solistisch auf der Bühne, und zwar 1995. Ihr Lied hat Aussichten auf den letzten Platz. Zumal dieses Jahr die üblichen zwölf Solidaritätspunkte aus Athen wegfallen: Griechenland pausiert.

12. Island: Einar Ágúst Vídíssion und Telma Águstdóttir mit „Tell me“ („Sag mir“). Zwei junge Menschen finden den Weg zueinander und sind glücklich. Und man kann es ihnen nur gönnen. Frisch, witzig und anmutig kommt dieser Beitrag daher. Gitarrenpop für einen lauen Sommerabend mit Bier, Zigaretten und guten Freunden. Sehr sympathisch.

13. Spanien: Serafin Zubiri mit „Colgado de un sueno“ („Auf Träumen tanzen“). Eine typische spanische Grand-Prix-Ballade, sagen wir: schwerfällig mit einer dicken Glasur Kitsch. Der Sänger ist kein unbeschriebenes Grand-Prix-Blatt: 1992 nahm er schon einmal teil. Damals belegte er Platz 14. Den dürfte er verfehlen, da wird ihm auch nicht helfen, dass er von Geburt an blind ist.

14. Dänemark: Bröder Olsen mit „Smuk som et stjerneskudd“ („Schön wie eine Sternschnuppe“). Die Brüder sind Graue Showpanther. Ihren Durchbruch hatten sie Ende der Siebzigerjahre im Musical „Hair“. Kurz darauf gelang ihnen ein Hit: „Marie, Marie“. Ihr Lied, im landestypischen Gypsie-King-Sound gehalten, ist eine charmante Liebeserklärung an eine nicht mehr junge Frau, die der Sänger noch immer und immer und immer liebt. Geheimtipp für Platz vier.

15. Deutschland: Stefan Raab mit „Wadde hadde dudde da“ („Wadde hadde dudde da“). Über das Lied ist viel diskutiert worden. Zu Raabs Unglück nur in Deutschland. Hat es eine Chance? Nun, im Vergleich mit den anderen Schlagern lässt sich sagen: Es nervt. Natürlich hat sein Song Drive; den haben andere aber auch. Was ihn von anderen unterscheidet, ist, dass Raab herzenskalt wirkt. Handyvoters werden viel durch Europa reisen müssen, damit Raab ein paar Punkte bekommt. Prognose? Egal.

16. Schweiz: Jane Bogaert mit „La vita cos’e“ („Was ist das Leben“). Die Sängerin kämpft mit einer persönlichen Eigenart: Sie verzieht auf der Bühne unentwegt ihr Gesicht zu einer Grimasse. Was schmerzt sie nur? Der Backgroundchor verfällt dagegen in mimetische Agonie. So lieben wir die Schweiz: immer eine Spur zu gefällig. Vielleicht Platz 19?

17. Kroatien: Goran Karan mit „Kada zaspu andeli“ („Wenn die Engel schlafen gehen“). Wurde angeblich von einem kroatischen Flüchtling auf der Hamburger Mönckebergstraße als Sänger entdeckt. Nun darf er sein Land international vertreten. Aber musste es mit so einem flachen Song sein? Schwamm drüber und Platz 16.

18. Schweden: Roger Pontare mit „When Spirits are calling my name“ („Wenn die Geister mich rufen“). Zweiter Versuch für den Samen Roger Pontare. Bereits 1994 vertrat er Schweden, zusammen mit Marie Bergman. Sein Lied erinnert an die Bombastpopsongs der Achtziger. Also am aktuellen Trend vorbei. Natürlich wird es einige gastgeberfreundliche Punkte geben, trotz seines hochgegelten roten Puschel am Hinterkopf. Mittelfeld.

19. Makedonien: XXL mit „100% te ljubam“ („Ich liebe dich hundertprozentig“). Das Phänomen Spice Girls hat also auch den Balkan erreicht. Allein, es fehlen Blüte und Boshaftigkeit der britischen Vorbilder: Skopje bleibt eben Skopje. Ihr Geraune über die große Liebe wirkt kalkuliert. Platz 23 wäre ein Erfolg.

20. Finnland: Nina Aström mit „A little bit“ („Ein bisschen“). Die Sängerin kommt aus Kokkola an der finnischen Nordwestküste und lebt dort mit Mann Bernhard und den Zwillingstöchtern Wilma und Natalie. Das muss zum angenehmen Teil gesagt werden; das Lied selbst bekommt gewiss Punkte aus Estland. Warum tun uns das die Finnen an? Die Familie wird Nina Aström Geborgenheit zurückgeben können.

21. Lettland: Brainstorm mit „My star“ („Mein Stern“). Britpop goes Baltic Culture. Mit leichter Hand an der Gitarre spielen und singen die fünf Jungs über das Leben und die Liebe. Soeben mit einem Majorvertrag versorgt, könnte der Abend in Stockholm ihr Durchbruch werden. Bald bitte mehr von ihnen. Nicht nur beim Grand Prix. Wenn Renars Kaupers seinen Augenaufschlag einzusetzen weiß, wird alles gut.

22. Türkei: Pinar Ayhan & S.O.S. Band mit „Yorgunum anla“ („Versteh, dass ich erschöpft bin“). Der Song allein wird dem türkischen Beitrag kaum viele Punkte einbringen. Außer von uns, natürlich. Folkloristisch gefärbt gehen die drei Minuten dahin. Gefällig, ohne das Gemüt zu beschweren. Platz 18?

23. Irland: Eamonn Toal mit „Millennium of Love“ („Jahrtausend der Liebe“). Der gefallsüchtigste Beitrag des Abends. Wie gut, dass die großen irischen Eurovisionszeiten mit Johnny Logan & Linda Martin noch nicht so weit zurückliegen. Da fällt das Erinnern leicht. Diesen Song mögen selbst die Iren nicht. Gibt es ein stärkeres Gegenargument?

24. Österreich: The Rounder Girls mit „All to you“ („Alles für dich“). In Österreich sind sie Stars, der Multikultidreimädelhaushalt. Der ORF hat sich bewusst entschlossen, dem Ausland ein farbiges Trio zu präsentieren. Österreich sei, so die Botschaft, nach dem Haiderrechtsruck in der Politik kein ausländerfeindliches Land geworden. Gut gemeint. Nur leider nicht gut gemacht. Zwar ist der Titel passabel zusammengeklaut, stimmlich lässt er jedoch einiges zu wünschen übrig. Mittelfeld.

JAN FEDDERSEN, 42, ist taz.mag-Redakteur, lebt in Berlin und würde sich über Norwegens Sieg freuen; THORSTEN PILZ, 31, ist freier NDR-Mitarbeiter in Hamburg und bevorzugt Lettlands Beitrag. Beide hätten auch nichts gegen die dänischen Olsen-Brüder