Fit mit Nadel und Kugeln

Von Akupunktur bis Homöopathie: Im ehemaligen Hafenkrankenhaus auf St. Pauli werden Naturheil-Verfahren erschwinglich  ■ Von Sylvia Massow

Behutsam steckt Reinhard Laskowski die Nadel in die Mitte der Ohrmuschel. Vorsichtig tastet er etwas weiter nach links. „Au! Da war es.“ Martha Kirmse, der das gepiekste Ohr gehört, zuckt zusammen. Sie kneift die Augen zu und verzieht das Gesicht. Reinhard Laskowski hat den Reflexpunkt für die Lunge gefunden und sticht die 0,18 Millimeter dünne Akupunkturnadel hinein. Das soll die chronische Bronchitis der 78-Jährigen lindern. Reinhard Laskowski setzt vier weitere Nadeln in das Ohr von Martha Kirmse, fragt, ob sie sich auch wirklich wohl fühlt, und verlässt den Raum. Sie muss sich nun 15 Minuten lang entspannen, während die Nadeln die Reflexpunkte stimulieren sollen.

Am 25. März hat Reinhard Laskowski mit vier HeilpraktikerInnen und zwei GestalttherapeutInnen die Naturheil-Etage im Sozial- und Gesundheitszentrum im ehemaligen Hafenkrankenhaus eröffnet. Gemeinsam bieten die sieben Exis-tenzgründerInnen Verfahren wie Akupunktur, Massage, Klassische Homöopathie oder Gestalttherapie an – zu günstigen Preise, damit sich auch sozial Schwächere diese Dienste leisten können.

Schräg gegenüber wartet Stefanie Jahn auf einen Patienten, der „seine Kügelchen abholen muss“. Der 32-jährige Matthias Schüßler will mit Hilfe der Klassischen Homöopathie seine starke Nervosität und seine Magenbeschwerden in den Griff bekommen. Die kleinen weißen Kugeln bestünden hauptsächlich aus Milchzucker, erläutert Stefanie Jahn ihr Verfahren, seien aber mit der alkoholischen Lösung einer „Ursubstanz“ getränkt. Was genau die Zucker-Kügelchen von Matthias Schüßler enthalten, dürfe sie nicht verraten: Das würde zu viele Rückschlüsse auf seinen Charakter zulassen.

„Mein Hausarzt hatte mir empfohlen, joggen zu gehen und zu schreien“, erzählt der Patient. Eine Verbesserung habe jedoch erst die homöopathische Behandlung bei Stefanie Jahn gebracht. Seitdem würde ihn sein Magen wesentlich weniger quälen, und „mit den Alltagsbelastungen kann ich nun viel besser umgehen“. Zu seiner Genesung, da ist er sicher, habe auch das angenehme Ambiente in der Naturheil-Etage beigetragen.

Nebenan spricht Gerhild Kulms mit einer jungen Mutter. Nicola Engelhardt leidet an Heuschnupfen. „Vergangenen Herbst war es besonders schlimm“, berichtet sie. Doch da sie mit ihrer Tochter Lilith schwanger war, wollte sie keine Medikamente einnehmen. Stattdessen ließ sie sich von Gerhild Kulms zu Hause besuchen. Die Akupunktur habe ihr sehr gut geholfen, erzählt sie. „Früher habe ich zu dieser Jahreszeit schon schwer mit der Rapsblüte zu kämpfen gehabt.“ Doch bisher sei sie von tränenden Augen und lästigen Niesanfällen verschont geblieben.

Alle drei Monate wird sie therapiert. Zu Beginn jeder vorbeugenden Behandlung fühlt Gerhild Kulms den Puls ihrer Patientin. „Ich zähle nicht die Schläge, sondern taste, wie stark der Puls an ganz bestimmten, den verschiedenen Organen zugeordneten Punkten ist“, beschreibt sie, während Nicola Engelhardt ihre Hand auf farbige Tücher aus chinesischer Seide bettet. Die Heilpraktikerin schließt die Augen. „Der Puls ist müde und leer“, stellt sie nach wenigen Minuten fest. Deshalb setze sie auch nur zwei Nadeln in Hand und Bein: auf die Punkte Dickdarm 4 und Magen 36. Das soll das Immunsystem stärken.

„Ich empfinde schon allein das Pulsfühlen als entspannend“, sagt Nicola Engelhardt anschließend. Die Akupunktur selbst sei sehr angenehm, auch wenn es gelegentlich „ziehen“ würde, wenn Gerhild Kulms die Nadeln setzt. In einem Vierteljahr muss sie sich wieder pieksen lassen. Bis dahin bleibe sie weiterhin ohne Heuschnupfen-Beschwerden, versichert ihr die Heilpraktikerin.

Martha Kirmse soll immerhin einen Monat ohne ihre Codein-Tropfen auskommen und trotzdem durchatmen können.

Naturheil-Etage im Gesundheitszentrum St. Pauli, Haus 4, Seewartenstraße 10, 20459 Hamburg; Termine nach Absprache