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Philosophie und Gummiball

Carme und Witz kontra Unbehagen und Langeweile: Beim Festival „Junge Hunde“ bilden zwei disparate Choreografien ein Programm  ■ Von Karin Liebe

Wie ein Gummiball hüpfen sie nebeneinander hoch in die Luft. Minutenlang. Muss das anstrengend sein. Doch keine Spur von Ermüdung ist auf den Gesichtern von Arco Renz und Sharon Zuckerman zu erkennen. Anfangs springen sie synchron, dann, kaum merklich, im eigenen Rhythmus. Die Frau im blutroten Top, eine Schneewittchenschönheit mit sahneweißer Haut und dunklen Locken, wirft einen kurzen, kecken Blick zu dem Mann im Rüschenhemd hinüber, dessen wie gemeißelte Gesichtszüge an die Büste eines jungen Römers erinnern. Gott, sind die schön!

Sie hüpfen weiter. Sie guckt wieder zu ihm rüber, er schaut stoisch geradeaus ins Publikum. Sie macht plötzlich eine Drehung in der Luft, schnell und übermütig. Dann noch eine. Sie lacht. Er hüpft weiter geradeaus in die Höhe. Erst wenn man ganz genau hinsieht, sind minimale Variationen zu erkennen. Manchmal springt er einen Tick höher, einen Tick kraftvoller. Und dann hören beide im selben Moment abrupt auf.

Eine herrliche Ouvertüre, die ankündigt, wie verspielt und konzentriert zugleich „Happy Zode“ mit Bewegung umgeht. Beim Duett übernimmt die 22-jährige Israeli Sharon Zuckerman hauptsächlich den ausgelasseneren Part, während Arco Renz, 1971 in Bremen geboren, für Präzision und Ruhe sorgt. Beide haben bei P.A.R.T.S studiert, dem renommierten Ausbildungsinstitut der belgischen Choreografin Anne Teresa de Keersmaker, dort einzeln ihren eigenen Stil geformt und jetzt zum ersten Mal eine gemeinsame Produktion entwickelt.

Für den Zuschauer ist das Zusammenspiel der beiden sehr unterschiedlichen Tanzpersönlichkeiten ein seltener Glücksfall. Wie sie sich in stetem Wechsel annähern und entfernen, sich hingeben und dis-tanzieren, hat Charme und Witz. Die ganze Palette an Emotionen, die das Beziehungskarussell zu bieten hat, strahlen Arco Renz und Sharon Zuckerman aus. Erst stampft er wütend über die Bühne. Steif und aggressiv verweigert er ihr die ausgestreckte Hand. Einen Blumenstrauß – das einzige Requisit auf der völlig leeren Bühne – trägt er auf den Rücken geschnallt. Ein schönes Bild für Distanz und gleichzeitige Sehnsucht nach Nähe.

Das Bewegungsrepertoire des Duos ist riesig und bezieht auch Mimik mit ein. Einmal strahlen beide übers ganze Gesicht, wie dumm vor Verliebtheit. Dann wieder grimassiert er verzweifelt, sie schluchzt an seiner Brust. So schnell schlägt Glück in Unglück um. Immer genau die richtige Nuance überzogen, um weder pathetisch noch lächerlich zu wirken. Wenn es nicht so altmodisch klingen würde, könnte man sagen: Ein bezauberndes Paar, das das Publikum im Handumdrehen für sich einnimmt.

Vom ersten Teil des Abends lässt sich das leider nicht behaupten. Sasa Queliz' als „Tanz-Theater-Dialog“ deklariertes Duett mit dem kryptischen Titel „O, Würfel, 1“ hinterlässt vor allem Unbehagen und Langeweile. Viel zu viel hat sich die in der Dominikanischen Republik geborene Tänzerin für ihre erste Choreografie vorgenommen. Bewegung pur reicht ihr nicht, sie will Sprache und Bewegung verbinden und philosophische Themen in Tanz umsetzen oder konterkarieren. Das sieht dann so aus, dass die Hamburger Schauspielerin Mira Parteke Texte von Fernando Pessoa, Samuel Beckett und Albert Camus deklamiert und Sasa Queliz sich dazu bewegt. Aber nichts passt zusammen, nichts reibt sich, kein Funke springt über. Alle klugen Worte bleiben reine Theorie.

Immerhin hat das Kampnagel-Team diesen Doppelpack-Abend so organisiert, dass er mit dem bezaubernden Paar ausklingt. Trotzdem bleibt schleierhaft, warum die beiden so disparaten Choreografien in ein Programm zusammengepfercht werden mussten. Kleiner Tipp: einfach später kommen.

0,Würfel,1: noch 13. Mai, 19.30 Uhr, k1; Arco Renz & Sharon Zuckerman: Happy Zode, noch 13. Mai, 20.30 Uhr, k2

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