Pfeifen für den Krieg

■ In der Dedesdorfer Kirche hat der Bremer Organist Joachim Heintz Material für ein ungewöhnliches Projekt gefunden, das morgen seine Uraufführung erlebt

Am Sonntag findet in Dedesdorf die Uraufführung einer Komposition „Erzählung für Orgel und Tonband“ von Joachim Heintz statt. Heintz studierte nach einem Literatur- und Kunstgeschichtsstudium Komposition und steht kurz vor seinem Abschluss. Warum ausgerechnet Dedesdorf? Hier steht eine Orgel von Arp Schnitger, dem im 17. Jahrhundert wohl berühmtesten Orgelbauer der Welt. Wir sprachen mit Joachim Heintz.

Das Zusammentreffen von zeitgenössischer Komposition und 300 Jahre alter Dorforgel ist ja nicht gerade an der Tagesordung. Wie kam es dazu?

Joachim Heintz: Das geht auf eine Initiative von Hans Ola Ericsson und Younghi Pagh-Paan zurück (Professor für Orgel der eine, Professorin für Komposition die andere, Anm. d. Red.): Ericsson zeigte der Kompositionsklasse die Instrumente und für mich war klar, ich kann nur mit einer alten Orgel arbeiten. Und zwar wegen der klanglichen Möglichkeiten, die die vor fünfzig und hundert Jahren gebauten Orgeln nicht haben. Bei den alten Orgeln ist es so, dass die Klangfarbe, die Lautstärke und auch die Tonhöhe sich mit der variierenden Luftzufuhr immer verändert. Man kann die Klappergeräusche der Traktur hören, was dann fast schlagzeugähnliche Effekte hat.

Sie schreiben im Programmheft: „Die Orgel, als dasjenige Instrument, das sich nicht bewegen kann, hat über Jahrhunderte all das mitbekommen, was in diesem Raum geschehen ist, und beginnt nun in ihrer Sprache davon zu erzählen“.

Meine Fantasie entzündete sich daran – ich dachte auch an den angeketteten Prometheus, an dem Geschichte vorbeizieht – ,dass es ein abseitiger Ort ist, an dem genau deswegen vieles deutlicher wird. Im Kirchenraum befindet sich eine Heldengedenktafel aus dem Ersten Weltkrieg – das Heldentum steht im Vordergrund, nicht die Trauer! Als ich das erstmals Mal las, deutete sich der Krieg im Kosovo an. Auf dem Weg nach Dedesdorf begegnete ich der österreichisch-ungarischen Parole „Serbien muss sterbien“. Die Prospektpfeifen wurden, unterstützt durch den nationalistischen Pfarrer, 1917 eingeschmolzen und zu Waffen gemacht. Je mehr ich las, desto mehr begegnete ich Krieg und Tod.

Wie kam es dann zu der Musik?

Die musikalische Fantasie ging verschiedene Wege, von denen ich nicht weiß, wie eng die Verbindung zu der geschichtlich-politischen Ebene ist. Ich habe zum Beispiel die Nebenklänge in eine andere Rolle gebracht. Das wäre vielleicht so ein inhaltliches Gelenk: dem, was am Rand liegt, eine andere Bedeutung zu verleihen. Dann haben mich bestimmte Überschriften geleitet, wie „Das Klappern der Zeit“ oder auch „Was nicht zusammenkommt“.

Die Besetzung zeigt zwei OrganistInnen, aber auch ein Tonband . Warum?

Ich habe mit Tonband ganz andere Möglichkeiten, den Raum zu zeigen; oder ich kann ganz leise, sozusagen unhörbare Klänge durch Verstärkung zeigen. Zum Beispiel habe ich damit gearbeitet, dass beim Drücken mancher Tasten der Dedesdorfer Orgel ohne Registrierung ein Luftgeräusch in verschiedenen Farben hörbar wird. Und ganz wenig gezogene Register ergeben ein tonhöhengefärbtes Rauschen – das ist faszinierend.

Sie schreiben im Titel „Erzählung“. Wie begegnen wir den Texten?

Es gibt eine Lesung in der Mitte. Es ist mir aber ganz wichtig, dass das ein Angebot bleibt und keine Festlegung oder Manipulation für den Hörer. Maßgeblich ist letzten Endes der Klang, dass etwas gehört wird, was weiter wirkt...

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Sonntag, 14. Mai, 20 Uhr in der St. Laurentius-Kirche in Dedesdorf