Alles an die Wand verkaufen

Vom leidenschaftlichen Fan zum kühl kalkulierenden Unternehmer und wieder zurück, von Indierock über Grunge zu Postrock und mehr: Seit genau zehn Jahren lizensiert Christof Ellinghaus auf seinem Label City Slang amerikanische Rockbands für den europäischen Markt
von GERRIT BARTELS

Christof Ellinghaus ist beschäftigt, sehr beschäftigt. Ein Anruf aus England hier, eine Frage eines Mitarbeiters dort, und die Zigaretten sind auch alle: Das City-Slang-Büro im vierten Stock eines Hinterhauses in der Skalitzer Straße in Kreuzberg ist an diesem Nachmittag nicht der richtige Ort für ein konzentriertes Gespräch mit dem City-Slang-Labelchef. Doch ein zehnjähriges Jubiläum, das an diesem Wochenende in London und Berlin aufwendig gefeiert wird, hält eben auf Trab. Und ist, erzählt Ellinghaus später bei einem Milchkaffee außer Haus, „nicht zuletzt marketingtechnisch ein Anlass, das Label noch ein bisschen bekannter werden zu lassen“. Bekannt ist City Slang dafür, ein so genanntes Indie-Label zu sein; ein Label, dessen zehnjährige Geschichte eng verbunden ist vor allem mit der des amerikanischen Indierock in den Neunzigern, mit dessen Aufstieg („Gimme Indie Rock“), Fall (Kurt Cobains Tod, Stone Temple Pilots) und Konsolidierung.

Das Wörtchen „Indie“ charakterisiert dabei zuvorderst eine bestimmte Form und Ãsthetik der Musik: jenseits von MTV- und Radioformaten, nicht corporate, sondern schwierig und mit Punk-Attitude. Dazu kommt, dass sich wie so viele Indielabel-Betreiber in den Neunzigern auch Christof Ellinghaus mehr und mehr vom Fan zum Unternehmer gewandelt hat. Ganz ironiefrei sagt er, dass er sieben Angestellte habe, und zwar „richtige Angestellte mit allem Pipapo, da habe ich ja auch Verantwortung“. Die Verkaufszahlen von fast jeder seiner Veröffentlichungen hat er ungefragt parat, und Vokabeln wie „Markt“, „Qualität“ oder „Gewinnmaximierung“ gehen ihm locker von den Lippen: „Wir versuchen bei City Slang Qualität an den Markt heranzutragen. Bei unbekannten Bands geht es darum, etwas aufzubauen, das sich für uns rechnet und für die Fans.“

Das Denken in solchen Kategorien ist allerdings nicht immer einfach: „Man muss schon aufpassen, dass man sich die Leidenschaft erhält“, sagt Ellinghaus, um nach kurzem Überlegen anzufügen: „Was wir machen, ist Liebhaberei. Wenn wir nicht mit dem Herzen dabei sind, könnten wir gleich einpacken.“

Als Ellinghaus 1990 mit seinem Label begann, gab es das Schielen auf Umsätze oder Jubiläumsfeiern nicht. Eine „sensationelle“ Platte der amerikanischen Band Flaming Lips war es, die den Fanzineschreiber und Konzertagenten Ellinghaus City Slang als Unterlabel des Berliner Vielklang-Label gründen ließ. Zwei Jahre später stellte er das Label auf eigene Beine und begann konsequent amerikanische Bands für den europäischen Markt zu lizensieren: Sebadoh, Superchunk, Love Child und natürlich Courtney Loves Band Hole, „ein absoluter Glücksgriff, finanziell und musikalisch“.

Mit den Verkäufen des 94er-Hole-Albums „Live Through This“ kam City Slang dann erstmals aus den roten Zahlen heraus. Paradoxerweise war es gerade diese Zeit, die Blütezeit von Nirvana, Hole und Grunge, die Ellinghaus in eine „richtige Daseinskrise“ geraten ließ: „Dieser langweilige Indierock, dieser ganze Designergrunge, und dann noch die Dominanz von Techno und Electro.“

Zwar versuchte er mit Bands wie Compustible Edison und Don Caballero schon früh, nicht auf einen musikalischen Stil festgelegt zu werden. Doch erst die Verpflichtung von Tortoise erwies sich als ein erneuter Glücksfall nicht nur für sein Label, sondern für die gesamte vor sich hin darbende Indierockszene: Postrock hieß das neue Ding, das den Link zwischen Rock und Elektronik herstellte, zwischen Song und Track; Musik, die nichts mehr gemein hatte mit Pathos, Schleim und Slacker-Leid.

Inzwischen haben Tortoise allerdings, nach drei City-Slang-Alben, beim englischen Elektroniklabel Warp unterzeichnet. „Richtiger Mist, das“, findet Ellinghaus, „die machen jetzt bestimmt eine Wahnsinnsplatte.“ Warp ist ein größerer Indie als City Slang, kann mehr zahlen. So was macht nachdenklich, und auch im Hinblick auf das Jubiläum veränderte Ellinghaus im letzten Jahr die Vertriebsstrukturen: Das Majorlabel Virgin bringt nun die City-Slang-Veröffentlichungen in die Plattenläden, ein enormer Fortschritt in Sachen Präsenz.

Schaut man sich nun das aktuelle Programm an, verkörpern die Bands höchst ausdifferenzierte Indierock-Modelle. To Rococo Rot und Schneider TM auf der elektronischen Seite, die Country-Soul-Band Lambchop, die Tex-Mex-Rocker Calexico, die göttlichen Built To Spill oder die schwierigen Wheat auf der Rockseite. Ellinghaus kommt glaubhaft ins Schwärmen, wenn er über Auftritte und Musik seiner Bands spricht, da wirkt er nicht wie der 36-jährige, frühzeitig ergraute Familienvater, der er auch ist, sondern wieder wie ein pubertierender Fan: „Wenn du das Wheat-Album vier-, fünfmal gehört hast, gehört das zu den besten des letzten Jahres!“

Doch seine Bands funktionieren auch „am Markt“. Da hat Ellinghaus gerade erst vom „unglaublichen“ Platz 60 des Calexico-Albums in den deutschen Media-Control-Charts erfahren oder weiß, dass Lambchop „im Moment alles an die Wand verkaufen, besonders in England“. Es läuft also in der Skalitzer Straße, das Feld ist bestellt, und die Zukunft kann kommen.

Ob Clubkultur („Das sind ja mittlerweile Koexistenzen“), Internet („Mit dem Lizensieren ist es wohl bald vorbei, dann müssen wir halt mehr produzieren“) oder auch der 20-jährige Hardcore-Fan: „Wenn der sich das Brett um die Ohren ballert, dann finde ich das super und denke mir: In fünf Jahren habe ich dich, du willst dich auch nicht immer anschreien lassen.“ Spricht’s, verabschiedet sich und eilt zurück ins Büro zum nächsten Termin.

Grand Slang Festival mit Flaming Lips, Yo La Tengo, Calexico, Lambchop, Freakwater, Wheat und Built To Spill, Sonntag (!), 19 Uhr, Dresdner Bahnhof, Luckenwalder Straße 4 – 6

Zitat:„Was wir machen, ist Liebhaberei. Wenn wir nicht mit dem Herzen dabei sind, könnten wir gleich einpacken“