Putins Arm reicht nicht bis zur Newa

Die Wiederwahl von Petersburgs Gouverneur scheint sicher. Das wäre eine Niederlage für den Präsidenten

MOSKAU taz ■ Angst vor Spätfolgen einer Wahlentscheidung ? Kein Problem. Für 10 Rubel bietet das Versicherungsunternehmen „Haus des 21. Jahrhunderts“ Schutz vor allen Risiken und Krankheiten, die den Bürger nach den morgigen Gouverneurswahlen in St. Petersburg befallen könnten. Mit einer Einschränkung: Das Angebot gilt nur, sollte der Kandidat der vereinigten demokratischen Opposition, Igor Artemew, das Rennen machen.

Seine Chancen stehen gering. Amtsinhaber Wladimir Jakowlew hält Russlands nördliche Hauptstadt fest im Griff. Mit 60 Prozent der Stimmen in Umfragen muss er nicht einmal einen zweiten Wahlgang fürchten. Verwaltung und Medien hat der 50-Jährige in der ersten Amtsperiode gleichgeschaltet. Fernab der Newasümpfe genießt der Petersburger Gouverneur eher einen zweifelhaften Ruf. Die Wahlen haben nichts mit einem Richtungsentscheid zu tun, sondern geben Auskunft, inwieweit Petersburg sich dem Clan des Gouverneurs auf weitere vier Jahre verschreibt.

Das Image, das die Metropole unter Jakowlew erlangte, ist wenig schmeichelhaft. „Politik im Petersburger Stil“ ist gleichbedeutend mit kriminellen Machenschaften. Streit im Filz von Politik und Wirtschaft wird bevorzugt mit Waffen geklärt.

Mehr als hundert Auftragsmorde wurden in den letzten Jahren verübt. Keiner davon wurde aufgeklärt. Nicht einmal der Überfall, dem 1998 die demokratische Dumaabgeordnete und Menschenrechtlerin Galina Starawoitowa zum Opfer fiel. Korruptionsvorwürfe gegen Jakowlew und Mitarbeiter der Verwaltung, die die Opposition ständig auftischt, versickern im Sand.

Die Position Wladimir Jakowlews scheint unangreifbar. Das bekam auch Russlands neuer Präsident Wladimir Putin zu spüren. Mehr noch – der Petersburger Statthalter brachte dem Staatsoberhaupt die erste Niederlage bei. Putins Versuch, eine eigene Gegenkandidatin ins Rennen zu schicken, scheiterte. Zwei Monate vor dem Urnengang berief er die chancenlose Sozialministerin Walentina Matwienko zurück auf ihren Kabinettsposten. Putins Aversionen gegen den Petersburger Paten reichen noch in seine Dienstzeit als Vizebürgermeister an der Newa zurück.

Gouverneur und Demokrat der ersten Stunde Anatoli Sobtschak hatte Putin in die Administration geholt, wo auch Jakowlew arbeitete. Bei den Wahlen 1996 unterlag Sobtschak mit 1,4 Prozent der Stimmen seinem Herausforderer aus den eigenen Reihen. Aus Loyalität zu Sobtschak schied Putin mit aus dem Amt. Jakowlew gab sich mit dem knappen Wahlsieg nicht zufrieden und trieb den entthronten Gouverneur durch Rufmordkampagnen und Korruptionsvorwürfe vorübergehend ins Ausland.

Als Sobtschak im Februar einem Herzinfarkt erlag, nahm Putin demonstrativ an der Trauerfeier teil. Offensichtlich reicht der Arm des Kremlherrn noch nicht in seine Heimatstadt, wo nach Angaben der Zeitung Nesawissimaja Gaseta doppelt so viel Staatsgelder verschwinden wie im Landesdurchschnitt.

Die Petersburger sind mit den Brosamen zufrieden. Immerhin findet die Verwaltung Geld, um die Straßen in Schuss zu halten und die Architektur nicht ganz verfallen zu lassen. Außerdem holte Jakowlew die am Wahlsonntag endende Eishockey-WM in die Stadt und ließ zehntausende Freikarten verteilen. Ginge es in Moskau nach dem Willen des Stadtvaters, wäre sein letzter Köder wie Gerüchte über den Umzug der Duma von der Moskwa an die Newa – beschlossene Sache. KLAUS-HELGE DONATH