deutsch-französische harmonie bei europa-plänen
: FISCHER IST IM EU-ESTABLISHMENT ANGEKOMMEN

Paris hüllte sich gestern lange in Schweigen, nachdem in Berlin Außenminister Joseph Fischer eine „Grundsatzrede“ zu Europa gehalten hatte. Seine „konstitutionelle Neugründung“, seine „Demokratisierung“, und sein „Gravitationszentrum“ mögen neu klingen im rot-grün regierten Deutschland, das seit zwanzig Monaten vergeblich auf europäische Impulse aus Berlin gewartet hatte. Aber in Paris klang Fischers Rede wie eine Wiederholung. Denn drei Tage vor ihm hatten am Dienstag dieser Woche SprecherInnen rechter wie linker Parteien in der französischen Nationalversammlung mit fast denselben Worten fast dasselbe Europaprogramm formuliert.

 Fischers Rede sowie ein gleichgerichtetes Interview von Bundeskanzler Schröder in einem französischen Radiosender sind die Rückkehr zu einer jahrzehntelang erprobten, jedoch seit den Machtwechseln auf beiden Seiten des Rheins ins Hintertreffen geratenen Routine der gemeinsamen deutsch-französischen Initiativen. Sie soll zeigen, dass beide Hauptstädte mit einer Stimme sprechen und dass der deutsch-französische Motor funktioniert. Um dies rechtzeitig vor Beginn der französischen Ratspräsidentschaft am 1. Juli in Erinnerung zu rufen, werden sich nächste Woche auch die Herren Jospin, Chirac und Schröder in Rambouillet zu einem Gipfel treffen, bei dem sie die „funktionierende Zusammenarbeit“ beschwören werden.

 Das Debakel der Österreich-Politik der vergangenen Wochen, bei der trotz der immer wieder beschworenen „Wertegemeinschaft“ die Europäische Union keinerlei konkrete Erfolge in Wien erreichen konnte; die verunsichernde Entwertung des Euro; das Fehlen einer nachvollziehbaren Europapolitik und die vor allem in Frankreich und in den südeuropäischen Ländern als eher unheimlich empfundene geplante Osterweiterung der EU machten derartige gemeinsame Initiativen unvermeidbar.

 Außenminister Fischer ist mit seiner „Grundsatzrede“ im erlauchten Kreis des Euro-Establishments angekommen, wozu in Paris neben der rot-rosa-grünen Regierung auch die Herren Giscard d’Estaing (rechtsliberal), Chirac (Neogaullist) und Delors (Sozialdemokrat) sowie in Berlin die Christdemokraten Schäuble und Lamers gehören, die schon vor Jahren „konzentrische Kreise“ entwickelten, denen Fischers Projekt zum Verwechseln ähnlich sieht.

 Den zweifelnden europäischen BürgerInnen freilich muss Fischer mehr bieten, um zu überzeugen. Seit 1957 haben sie unzählige Absichtserklärungen gehört. Aber solange ihr Alltag in Europa ungleich bleibt, solange „ihre“ Union sich mehr um die gemeinsame Währung als um die sozialen Grundrechte kümmert und mehr um Privatisierungen als um die Verteidigung der öffentlichen Dienste, wird sie die BürgerInnen nicht überzeugen. Auch Fischer nicht.

DOROTHEA HAHN