Der Sieg des zwölften Menschen

■ FC St. Pauli holt durch 2:1 gegen Alemannia Aachen drei wichtige Punkte im Abstiegskampf

„Die sind nicht aggressiv. Die kriegen noch nicht einmal den Ball zum eigenen Mann“, schimpfte Dietmar Demuth, der Trainer des FC St. Pauli, bereits nach 18 Spielminuten, und damit hatte er genau Recht. Denn was sein Team beim 2:1-Sieg gegen Alemannia Aachen über weite Strecken bot, war schlicht und einfach desolat. Vor allem nach der Gäste-Führung durch den starken Kapic (12.) gelang St. Pauli rein gar nichts mehr. Die Kiez-Kicker schienen nach dem Schock des frühen Rückstandes wie gelähmt. Wie mit Blei in den Füßen schlichen sie in der Folgezeit orientierungslos über den grünen Rasen. Gewonnen wurde trotzdem. Irgendwie.

Davon, dass die Partie im Vorfeld zum wichtigsten Spiel des Jahres erklärt wurde, in der jeder Akteur das Letzte aus sich herausholen müsse, um die Existenz des Klubs zu retten, war zunächst überhaupt nichts zu spüren. Vielmehr erweckte die Elf gegen Aachen den Eindruck, dass St. Pauli über keine zweitligataugliche Mannschaft verfügt. Selbst Führungsspieler wie Kapitän André Trulsen oder der zum Spielmacher umfunktionierte Steffen Karl versagten total. Und die sonst eher sichere Defensive um Libero Holger Stanislawsi glich diesmal eher dem, was Sportreporter gern einen Hühnerhaufen nennen, als einem Abwehrverbund.

Dabei begann St. Pauli viel versprechend und hätte schon nach acht Minuten durch Ivan Klasnic in Führung gehen können. Aachens Keeper Christian Schmidt konnte seinen Schuss aus 16 Metern allerdings noch gerade über die Latte lenken. Es folgte stattdessen der Gegentreffer, St. Paulis einzige Chance zum Ausgleich vergab Stanislawski (22.). Vielleicht hätte „Würge-Schlange“ und Alemannia-Trainer Eugen Hach den „Paulianern“ Beine machen können, doch der wurde nach seiner Attacke im Spiel gegen Cottbus vom DFB auf die Tribüne verbannt.

Zur zweiten Hälfte wechselte Demuth Andrej Polunin für den glücklosen Stephan Hanke ein, um die Offensive zu stärken. Eine gute Entscheidung, denn der Ukrainer zeigte von Beginn an, dass es scheinbar auch bei St. Pauli Spieler gibt, die mit dem runden Leder umgehen können. „Polunin war unser Bindeglied. Das hat uns in der ers-ten Hälfte gefehlt“, stellte Demuth später fest.

Zunächst sprang aber noch nichts Zählbares heraus. Der FC mühte sich zwar redlich, um besser ins Geschehen zu finden, doch überzeugend war das alles nicht.

Bis zur 72. Minute: Praktisch aus dem Nichts auftauchend versenkte Ivan Klasnic ein Zuspiel von Polunin im Gehäuse der Aachener – der völlig überraschende Ausgleich zum 1:1.

Doch dieses Erfolgserlebnis setzte ungeahnte Kräfte frei. Das wieder erwachte Publikum verwandelte das Millerntor nun zum altbekannten F.-Haus der Liga und peitschte sein Team nach vorne. Und der Funke sprang auch auf die Kicker über. Endlich zeigten die Akteure Biss und Kampfbereitschaft, setzten alles auf eine Karte, wollten den Sieg. Der späte Mut wurde belohnt. Matchwinner Klasnic leistete die herrliche Vorarbeit für Marcus Marin, der zum umjubelten 2:1-Siegtreffer einschoss (78.). „Wir freuen uns, den Fans einen Sieg geboten zu haben, aber wir sind noch lange nicht durch“, sagte Trulsen anschließend.

In der Tat sammelte St. Pauli durch den Erfolg drei wichtige Punkte im Abstiegskampf. Doch mit der Form, die das Team von Trainer Demuth gegen Aachen an den Tag legte, muss wohl bis zum letzten Spieltag um den Klassenerhalt gezittert werden.

Norman Rusche

St. Pauli: Wehlmann, Stanislawski, Trulsen, Ahlf, Wehlage (82. Staczek), Hanke (46. Polunin), Karl, Rahn, Gerber (63. Bajramovic), Klanic, Marin

Aachen: Schmidt, Landgraf, Rauw, Bashi, Heeren, Berchtold, Vanderbroeck (66. Bayock), Kapic (80. Müller), Incemann, Lämmermann (74. Emilio), Diane

Zuschauer: 16.500

Tore: 0:1 Kapic (12.), 1:1 Klasnic (72.), 2:1 Marin (78.)