spd kontra naumann
: WAGENBURG-MENTALITÄT

So geschlossen trat die Berliner SPD schon lange nicht mehr auf. Den Gedanken, Kultur-Staatsminister Michael Naumann könnte als Bürgermeisterkandidat gegen Eberhard Diepgen antreten, finden die Genossen in seltener Einmütigkeit „absurd“.

Gegen die Idee spricht in der Tat einiges: Nur ein halbes Jahr nach dem letzten Urnengang bräuchte die SPD gute Gründe, um eine Senatskrise samt Neuwahlen vom Zaun brechen zu können. Für Naumann selbst ist der Gedanke wenig anziehend, statt von Filmstars künftig von Kampfhunden umzingelt zu sein.

Dass die örtlichen Sozialdemokraten gleich so gereizt zubeißen, hat mit derlei rationaler Abwägung aber wenig zu tun. In ihrer Wagenburg-Mentalität sperren sie sich gegen die Erkenntnis, dass die Berliner SPD ihre Dauerkrise nicht aus eigener Kraft überwinden kann. Stattdessen stricken sie eifrig an der bequemen Legende, einzig und allein die damalige Krise der rot-grünen Bundesregierung sei für die Berliner Wahlniederlage im vergangenen Oktober verantwortlich gewesen.

Ein knappes Jahr nach dem Regierungsumzug schwindet bei den Genossen in der Bundespartei die Neigung, diesem Treiben noch länger tatenlos zuzusehen. Es graust ihnen bei dem Gedanken, Parteichef Peter Strieder oder Fraktionschef Klaus Wowereit könnten die Partei in die nächste Wahlniederlage führen. Bislang haben sich aus dem Kreis der so genannten Bonner freilich keine Freiwilligen für das Projekt finden lassen, die Hauptstadt-SPD aufzumischen. Die meisten zogen es – wie Naumann – vor, sich bei ihrem neuen Ortsverein nicht einmal anzumelden.

Die Zurückhaltung hat einen simplen Grund: Jeder Kandidat von außen müsste in der Berliner SPD erst eine Mehrheit finden. Bislang haben die hauptstädtischen Genossen immer jenem Bewerber den Vorzug gegeben, der ihre Kreise am wenigsten störte. Schon in den frühen Achtzigern war der Versuch gescheitert, mit den westdeutschen Polit-Importen Hans-Jochen Vogel, Peter Glotz und Hans Apel der Niedergang der Westberliner SPD aufzuhalten.

Bleibt die Berliner SPD in ihrer Binnenlogik gefangen, wird sich sich nie aus dem Ghetto der 20-Prozent-Partei befreien können.

RALPH BOLLMANN