Freiheit und Risiko

Carma Lewis’ Sohn wurde erschossen. Deshalb demonstrierte sie am Muttertag gegen jede Einschränkung des Waffenbesitzes in den USA

„Es müsste ganz einfach sein, einen Menschen mit so einer Flinte abzuknallen“, sagte einer der vier 15-Jährigen, die an diesem verhängnisvollen Silvesternachmittag vor neun Jahren von der Kaninchenjagd nach Hause kamen. „Halt die Klappe und red nicht so ’ne Scheiße“, sollen die anderen gesagt haben, die ihre Gewehre, wie sie es gelernt hatten, am Ende der Jagd ordentlich entladen und gesichert hatten. Zwei der Jungen waren Söhne von Carma Lewis, der dritte war ein Nachbar, und der vierte, „der hatte sich an die Gruppe angehängt, ohne eingeladen zu sein“, erinnert sich Rosana, die älteste der Lewis-Geschwister, die damals 18 war. „Alle legten ihre Jagdwaffen und Hasen draußen auf der Veranda ab und kamen herein, wo mein kleiner Bruder, der nicht zur Jagd mitgegangen war, sich gerade auf dem Sofa die Schuhe anzog.“ Nur der Junge, den keiner recht kannte, brachte seine Waffe mit ins Wohnzimmer, sprach den Jüngsten der Familie Lewis an – und schoss ihn in den Kopf.

„Der hatte eine Killerseele und ein Killerherz“, sagt die Mutter Carma Lewis. „Hätte der kein Gewehr gehabt, hätte er meinen Sohn mit Gift oder einem Messer umgebracht. Der ist einfach ein böser Mensch.“ Viele der Mütter, die am Wochenende in Washington das Wort ergriffen, kamen nicht weit, bevor ihre Stimmen in Tränen erstickten. Carma Lewis hingegen spricht vom Tod ihres Sohns, als sei dieser eine Art Opfer, das dem Recht auf Waffenbesitz gebracht wurde – und sie nur noch bestärkt hat, sich für dessen Erhalt einzusetzen.

Dabei betont Carma Lewis durchaus auch, wie sehr die Ereignisse ihr Leben verwandelt haben. Sie meint damit allerdings nicht den Tod ihres Sohns, sondern die Medien, die sich auf sie gestürzt haben – als Mutter, die sich trotz ihres Verlustes für die Freiheit jedes Amerikaners einsetzt, eine Waffe zu tragen. „Man dreht einen Dokumentarfilm über mich“, sagt Lewis mit einer Mischung aus Verärgerung und Aufregung, „man folgt mir 24 Stunden am Tag, während ich von Pressekonferenz zu Frauenversammlung renne und mich dafür einsetze, dass Frauen sich zu ihrer Sicherheit bewaffnen.“

Carma Lewis wurde 1947 in Tooele geboren, einem Städtchen in Utah, wo jeder Jagdwaffen besaß. Noch bevor sie in die Schule kam, ging sie auf die Jagd. Da sie damals große Flinten kaum halten konnte, übte Carma mit einem Revolver Kaliber 22. Heute lebt sie als Stewardess in Mesa, Arizona. Jede Freiheit bringe auch Risiken, sagt Carma Lewis, und dass sie eine große Konstitutionalistin sei: „Ich liebe Amerika. Unsere Vorväter haben uns das Recht gegeben, uns mit der Waffe zu verteidigen.“ PETER TAUTFEST