nebensachen aus managua
: Eine unglaubliche, aber wahre Geschichte

EIN SELBSTMÖRDERISCHER BIGAMIST IM PARLAMENT

Diese Geschichte ist unglaublich, doch sie ist wahr. Geschehen am Freitag, den 12. Mai 2000, im Parlament zu Managua. Auf tritt Boanerges Castillo, 41 Jahre alt, Abgeordneter der rechten „Liberal-konstitutionalistischen Partei“ (PLC) des Präsidenten Arnoldo Alemán. Castillo hat eine 9-Millimeter-Pistole dabei. Er stellt sich vor dem Podium des Parlamentspräsidiums auf, hält sich die Waffe an den Kopf und droht damit, sich zu erschießen. Außerdem wolle er Pressevertreter sehen, denn er habe etwas zu erklären.

Was er zu erklären hat, ist eine komplizierte Geschichte: Es gibt da eine Frau mit Namen Maritza Sequeira, 37 Jahre alt, die behauptet, sie habe Castillo vor zwanzig Jahren geheiratet. Aus dieser Ehe seien zwei Töchter hervorgegangen, Nancy und Rebeca Alvarez, heute 18 und 19 Jahre alt. Der Nachname der beiden Mädchen macht stutzig. Sie heißen Alvarez, nicht Castillo. Der heutige Abgeordnete Castillo, erklärt die Mutter, habe damals nämlich Germán Antonio Alvarez geheißen und sei ein rechter Contra-Kämpfer gewesen. 1985 habe Alvarez vorgetäuscht, er sei in einem Gefecht mit dem sandinistschen Volksheer gefallen – um dann als Castillo wieder aufzuerstehen. 1996 wurde er ins Parlament gewählt, 1998 ehelichte er Carolina Moreira. Folglich, behauptet die angebliche erste Gattin, ist der Abgeordnete ein Bigamist. Sie verklagte ihn vor dem Menschenrechtsausschuss des Parlaments und fordert die Aufhebung seiner Immunität. Und Nancy und Rebeca verlangen, dass sich Castillo einem Gentest unterzieht.

All das wollte der Abgeordnete Castillo am Freitag als niederträchtige Lüge entlarven, um dann als Ehrenmann aus dem Leben zu scheiden. Andere Abgeordnete wollten das verhindern. Doch als sie versuchten, den Lebensmüden zu entwaffnen, schoss dieser in die Decke des Sitzungsaals.

Schließlich verlangt Castillo nach Carolina Moreira und einem Priester. Die Frau versucht unter Tränen, ihren Gatten am Leben zu halten. Der Priester kniet mit ihm nieder und betet. Und dann, nach fünf (!) qualvollen Stunden, geschieht das Wunder. Der Abgeordnete Boanerges Castillo verliert seinen Mannesstolz. Er weint. Er überreicht dem Priester die Waffe. Er gesteht: Maritza Sequeira hat nicht gelogen. Er war Germán Antonio Alvarez, hat sie geheiratet und ihre zwei Töchter gezeugt. Er bittet sie um Vergebung und auch Carolina Moreira und Nancy und Rebeca. Der Priester begleitet den Abgeordneten aus dem Parlament. Im Gefolge Polizisten und Krankenpfleger. Einer hat eine Zwangsjacke dabei.

Man stelle sich das im deutschen Bundestag vor. Unmöglich! So etwas gibt es nur in Zentralamerika. Und nicht nur in Nicaragua. Auch in Honduras gab es vor drei Jahren einen Bigamisten im Parlament: den Abgeordneten Julio Cesar Villatoro. Der war keine Memme wie Castillo/Alvarez, sondern ein echter Macho. Er prahlte mit seinen vielen Frauen und hatte auch eine Erklärung dafür: Er sei nun einmal ein schöner Mann und zu schwach, um sich der weiblichen Angebote zu erwehren. Auch diese Geschichte ist unglaublich. Doch auch sie ist ganz bestimmt wahr. TONI KEPPELER