Blairs Krieg in Westafrika

Die britische Regierung hat inzwischen 1.500 Soldaten und sechs Kriegsschiffe nach Sierra Leone geschickt. Immer deutlicher wird, dass die Mission der Briten nicht Frieden ist, sondern Krieg. Die UNO lässt es geschehen

von DOMINIC JOHNSON

Die britische Eingreiftruppe in Sierra Leone wird immer größer. 1.500 Soldaten sind jetzt im Land oder auf Kriegsschiffen in der Region stationiert. Unter ihnen befinden sich die wichtigsten britischen Elitetruppen: das Luftlanderegiment der Armee, das letztes Jahr für die Nato Kosovos Hauptstadt Priština besetzte, sowie das 42. Marinekommando, das bei der Rückeroberung der Falkland-Inseln 1982 an vorderster Front stand. Vor der sierra-leonischen Küste liegt der Flugzeugträger „Illustrious“ mit 13 Harrier-Kampfjets sowie fünf andere Kriegsschiffe, darunter das modernste der britischen Marine.

Hartnäckig weigert sich die britische Regierung, das Mandat der Truppe jenseits der ursprünglichen Ziele der Evakuierung von Ausländern und der Sicherung des Flughafens der sierra-leonischen Hauptstadt Freetown zu präzisieren. Sie hüllt sich in Schweigen, während oppositionelle Konservative und Liberale in London zwischen Angst vor einem nicht gewinnbaren Krieg und Rufen nach Härte gegen Sierra Leones Rebellen hin- und hergerissen sind.

Die bisher klarste Andeutung, dass die Soldaten tatsächlich einen Kampfauftrag haben, machte Außenminister Robin Cook am Freitag im Unterhaus: „Wir dürfen nicht ein paar tausend Rebellen erlauben, das Ende der Gewalt zu verhindern.“

UN-Generalsekretär Kofi Annan wurde in einem Brief an Tony Blair deutlicher. Er lobte, die Anwesenheit der Briten „hat schon einen kritischen Einfluss gehabt, nicht nur durch die Entlastung von UN-Truppen in bestimmten Positionen und Unterstützung für sie in anderen, sondern auch durch die Bereitstellung einer robusten und beruhigenden Präsenz in einer Zeit großer Gefahr für das Volk von Sierra Leone“.

Berichte aus Sierra Leone machen deutlich, was das bedeutet. Britische Soldaten patrouillieren in den Straßen Freetowns mit nigerianischen UN-Soldaten und durchsuchen Passanten an Straßensperren nach Waffen. Britische Soldaten beschützen in Freetown das UN-Hauptquartier und haben damit die UN-Mission Unamsil militärisch in der Hand. Britische Soldaten machen in Freetown, was sie wollen. „Sie sind unter nationalem Kommando“, so Außenminister Cook. UN-Sprecher Fred Eckhart zufolge gibt es nicht einmal eine förmliche Vereinbarung zwischen Großbritannien und der UNO über die Aufgabenteilung. In diesem Zusammenhang logisch, aber zugleich völlig absurd ist die Forderung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, eine supranationale Koordinierungsstelle zur Abstimmung der Aktivitäten von UNO und Briten in Sierra Leone einzurichten – als sei Großbritannien kein UN-Mitglied. Eine weitere Dimension der Intervention ist die führende Rolle der Briten bei der laufenden Offensive der sierra-leonischen Armee gegen die Rebellen der „Revolutionären Vereinigten Front“ (RUF). Die RUF hatte vor zehn Tagen die Militärintervention provoziert, indem sie mehrere hundert UN-Blauhelme gefangen nahm. Bis heute hält sie nach UN-Angaben 508 Unamsil-Angehörige fest. Die Regierungsoffensive mit dem Segen der UNO wird von einer Koalition der Regierungsarmee SLA, abtrünnigen Soldaten des heute regierungstreuen Ex-Putschisten Johnny Paul Koroma und der Stammesmiliz „Kamajor“ des Präsidenten Ahmed Tejan Kabbah durchgeführt.

Vor allem die Kamajor gelten als mindestens so brutal wie die RUF. Britische Offiziere haben die schwierige Aufgabe übernommen, die Aktivitäten dieser Kräfte zu koordinieren. Damit leiten sie praktisch die Kämpfe auf Regierungsseite, wie der britische Kommandant David Richards im sierra-leonischen Rundfunk einräumte: „Unser Job, kurzfristig unter Einsatz der SLA, ist es, die Schlacht nach vorne zu tragen und im Binnenland zu tun, was nötig ist.“ Gefragt, ob er damit nicht das Mandat seiner Truppe ausdehne, sagte er: „Weil ich persönlich Sierra Leone und seine Menschen sehr schätze, wird dieses Mandat liberal interpretiert.“

Alles deutet auf einen verschärften Krieg unter britischer Führung hin. Gestern wurde sogar der britische Generalstabschef James Guthrie zu einem Besuch seiner Jungs in Freetown erwartet. Von Dialog mit den Rebellen, deren Führer Foday Sankoh – offiziell Sierra Leones Vizepräsident – seit einer Woche verschollen ist, spricht keiner mehr. Außer Jesse Jackson, der US-Sonderbeauftragte für Sierra Leone. Er verglich am Wochenende die RUF mit dem südafrikanischen ANC während der Apartheid und sagte, es sei unvermeidlich, den Rebellen eine politische Rolle in Sierra Leone zuzugestehen.

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