Kein Bodybuilding am Canale Grande

Bei der Architektur-Biennale in Venedig ist Berlin offizieller deutscher Beitrag. Die „spröde“ Schau zeigt eine geschundene Stadt

Es ist kein Geheimnis, dass Ausstellungen über zeitgenössische Berliner Architekturen der Nabelschau baulicher Großereignisse in der Stadt gleichkommen. Mit dem neuen Potsdamer Platz zog der Senat bis nach Peking. Die Parlamentsgebäude, Bürokästen an der Friedrichstraße oder Bahnhöfe der Stadt glitzerten in den Museen von Bonn bis Barcelona. Leistungsschau statt differenzierter Vermittlung des groß angelegten Stadtumbaus der vergangenen zehn Jahre war angesagt. Die Resonanz dem entsprechend.

Umso mehr überrascht, dass der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland bei der 7. Internationalen Architektur-Biennale in Venedig (18. Juni bis 29. Oktober 2000) erneut die „Entwicklung der Bundeshauptstadt Berlin“ zum Thema nimmt, wie der Veranstalter, Bundesbauminister Reinhard Klimmt (SPD), erklärt. Doch es scheint, als habe man aus den banalen, zum Teil kommerzialisierten Konzepten der Vergangenheit gelernt. Die Exponate, betont Thomas Herzog, Generalkommissar des deutschen Pavillons in Venedig, „werden kein Bodybuilding“ jüngster Berliner Architektur darstellen. Vielmehr soll unter dem Titel „Stadt-Wende“ am Beispiel Berlins „im zeitlichen Ausschnitt von 1940 bis 2000 die ungeheuren physischen Veränderungen“ einer deutschen Stadt exemplarisch gezeigt werden. Fast „spröde“, so Herzog, und „anhand von unveröffentlichtem Material“ mit Plänen und Fotografien aus Archiven „werden die stadtgeschichtlichen Metamorphosen“ der in 60 Jahren mehr geschundenen als rekonstruierten Stadt dokumentiert: die Zerstörung im Zweiten Weltkieg, die „brutalen Abrisse der Nachkriegszeit“ und „gezielten Veränderungen sowie Eingriffe“ durch Bauten und Verkehrswege sowie die neuen Eigentumsverhältnisse.

Herzog will anhand „einer Bilanz aus Verlusten und Gewinnen“ von Gebäuden, der öffentlichen Räume und des sozialen Gefüges die Chronologie der Stadt vorstellen, die schockiert. „Interessant an Berlin als Ausstellungsobjekt“, so Herzog, „sind die extremen Verwerfungen“, unter denen Stadtkörper und Stadtorganismus gelitten haben. Dies sei als Ausstellungsprogramm im Ausland ebenso spannend wie die Vorführung neuester Berliner Architektur.

Als Beispiel für sein Konzept nannte Herzog die Veränderungen am Anhalter Bahnhof, der vom verdichteten Verkehrsknoten über Zerstörung, Flächenabrisse und missratene Neubauten bis zur Parkfläche mutierte und jetzt als fauler Kompromiss mit dem Neuen Tempodrom samt Sportplatz wieder erstehen soll. „Es geht also nicht um die Darstellung der Oberfläche von Architektur, sondern um das Wesentliche von Stadt und Raum“, sagt Herzog – ein Konzept, das auch zum Generalthema der Biennale „Weniger Ästhetik, mehr Ethik“ passt.

Ein Risiko indessen bleibt. Neben dem Münchner Thomas Herzog wird die Ausstellung auch von zwei Protagonisten der Berliner Architekturszene mit konzipiert: Senatsbaudirektor Hans Stimmann und Jürgen Sawade, Erbauer des Sozialpalastes an der Schöneberger Pallasstraße und jetzt als Ausstellungsarchitekt tätig. Herzog wies zwar bei der Vorstellung des Konzepts alle bekannten Begehrlichkeiten nach den Berliner „Schaustellen“ zurück. Er musste aber einräumen, dass Stimmanns Masterplan auch zu den Exponaten der Architektur-Biennale gehört.

ROLF LAUTENSCHLÄGER