Schwarzweißes Ego

Perfekt cool: Heute vor zehn Jahren starb mit Sammy Davis Jr. der erste weltweit erfolgreiche afroamerikanische Entertainer

von HARALD FRICKE

Die Stille ist künstlich, der Beifall nachträglich beigemischt. Als Motown den Soundtrack zum Benefizkonzert „Save The Children“ 1973 veröffentlichte, hatten die Tontechniker reichlich Mühe, die lauten Buhrufe beim Auftritt von Sammy Davis Jr. vom Originalband zu löschen. Nur stockend bekommt Davis seine paar einführenden Worte hin, erzählt, dass er heimgekehrt ist zu den Schwarzen und dass ihm niemand diese Identität nehmen kann – auch wenn man mit seiner politischen Meinung nicht übereinstimme. Dann singt er sehr beherrscht den Standard „I've gotta be me“, bevor er wieder von der Bühne im Chicagoer Expo-Auditorium verschwindet.

Das Konzert war für Davis eine Katastrophe. Das Publikum hatte ihn als Verräter niedergebrüllt, es gab Krawalle auf den Rängen, die man in der Filmfassung des Konzerts auch sieht. Schließlich war ein Foto von Davis gerade erst durch alle Medien gegeistert: Ein paar Monate zuvor hatte er den US-Präsidenten Richard Nixon bei einer Wahlkampfshow der Republikaner liebevoll umarmt. Weiter konnte in den Augen der schwarzen Bevölkerung kein Afroamerikaner sinken. Und auch für die Demokraten war Davis mit seiner Sympathie für Nixon gestorben – immerhin hatte er in den Sechzigerjahren zunächst John F. Kennedy und später Bobby Kennedys Programm der Rassenintegration unterstützt. Als schwarze Musiker wie George Benson oder Whitney Houston keine zehn Jahre danach zum Amtsantritt von Ronald Reagan einen Galaabend gaben, blieb der Zorn seltsamerweise aus. Offenbar hatte Sammy Davis Jr. mit seiner Solidarnote für das konservative Establishment auch in dieser Hinsicht Schranken eingerissen. Wer „black“ und „proud“ war, konnte durchaus rechts wählen.

Dabei war der Song, den Davis für seinen Chicago-Auftritt ausgesucht hatte, vielleicht sogar programmatisch gemeint. Dort heißt es gleich zu Beginn, dass man mit seinen Entscheidungen richtig oder falsch liegen kann, solange man am Ende nur zu sich selbst findet. Mehr noch, wenn Davis die Zeilen „I want to live, not merely survive“ singt, dann schwingt darin die Bestandsaufnahme seines eigenen Lebens mit – auch wenn das Lied bereits Jahrzehnte früher für ein Broadway-Musical komponiert worden war. Tatsächlich hätte „I've gotta be me“ die Überschrift zur Davis-Biografie sein können. Stattdessen zog er jedoch den Titel „Why me?“ vor. Dass beide Sätze passen, merkt man, wenn man sich den Werdegang des ersten weltweit berühmt gewordenen schwarzen Entertainers anschaut: Das Leben liegt irgendwo dazwischen. Künstlerisch, politisch und privat. Niemand hatte mit seiner Existenz als Popstar so sehr zu kämpfen wie Sammy Davis Jr., der als Role-Model einer schrittweisen, sanften Integration von Rassisten gehasst und von den radikalen Vertretern der Bürgerrechtsbewegung als Liebling der liberalen weißen Kulturschicht abgelehnt wurde.

Die einen sahen in ihm den kleinwüchsigen, schwarzen Tänzer, der zu allem Überfluss auch noch zum Judentum konvertiert war und jetzt versuchte, die Rassentrennung zu unterwandern, indem er als Kompagnon von Frank Sinatra auftrat, mit weißen Schauspielerinnen flirtete und 1960 den schwedischen Filmstar May Britt heiratete. Zur Hochzeit bekam das Paar Morddrohungen; als Davis ein Konzert in Washington DC gab, demonstrierten Neonazis in der amerikanischen Hauptstadt. Immer wieder erinnerte sich Davis an einen schwarzen Hund, dem man damals ein Schild auf dem Rücken befestigt hatte: „Ich bin auch schwarz, Sammy, aber ich bin kein Jude.“

Umgekehrt bekam er bereits am Beginn seiner Karriere in den Fünfzigerjahren Protestbriefe aus der schwarzen Community, weil sein luxuriöser Lebensstil und die Freundschaften mit weißen Showbiz-Größen à la Sinatra, Jerry Lewis oder dem Komiker Milton Berle einen Verrat an den Bedingungen in den Ghettos darstellten. Immer wieder forderten afroamerikanische Zeitungen, dass er mehr Rassenbewusstsein zeigen sollte, auch wegen seiner Popularität. Dagegen wollte Davis gerade mit seinem exaltierten Auftreten eine höhere Aufmerksamkeit für Black Politics erreichen: Seine Präsenz im weißen Mainstream der Las-Vegas-Clubs und Hollywood-Produktionen sollte zeigen, dass Schwarze in der Öffentlichkeit eben nicht mehr unsichtbar bleiben mussten, wie es 1947 noch Ralph Ellison in seinem bahnbrechenden Roman „The Invisible Man“ beklagt hatte.

Mit dem Erfolg von Davis wurde diese Schranke der Wahrnehmung wenigstens symbolisch hinfällig. Deshalb konnte er 1960 in einem Film wie „Ocean's Eleven“ oder in „Robin and the 7 Hoods“ von 1964 den tanzenden Kauz spielen, der wegen seiner Größe und Hautfarbe gehänselt wurde – und zugleich neben Martin Luther King in Selma für die Gleichberechtigung marschieren. In beiden Fällen waren die Kameras auf ihn gerichtet, so stellte sich Davis seinen Beitrag für die Bewegung vor. Und als Anfang der Sixties die Spielcasinos in Las Vegas von Bürgerrechtlern bestreikt wurden, weil Schwarze dort keinen Einlass hatten, setzte Davis praktisch im Alleingang durch, dass von nun an die Belegschaft gemischtrassig eingestellt wurde und sich auch die Hotels für Afroamerikaner öffneten. Zuvor mussten selbst Entertainer wie Nat King Cole oder Louis Armstrong nach jedem Auftritt zurück in das für Schwarze abgetrennte Viertel der Stadt.

Andererseits hat Sammy Davis Jr. das Missverständnis in Sachen Integrität und Identität durchaus in seiner künstlerischen Arbeit mitbedacht. Seine ganze Karriere war praktisch darauf aufgebaut, in der musikalischen Öffnung zum Mainstream auch alle sozialen Festschreibungen hinter sich zu lassen. Nicht immer mit Erfolg: So wurde er 1959 zwar für Otto Premingers Verfilmung von „Porgy & Bess“ als kleiner Ganove Sportin' Life verpflichtet. Doch der Gesang wurde nachträglich von dem im Jazz geübteren Cab Calloway synchronisiert, weil Davis' samtpfötchenweicher Bariton nach Bar klang. Davis reagierte prompt und veröffentlichte im gleichen Jahr noch eine LP mit zehn Liedern aus dem Musical.

Trotz aller Begeisterung für Tanz und Entertainment ist von Davis als Sänger wenig geblieben. In den USA gibt es auch zehn Jahre nach seinem Tod mit 65 Jahren durch Kehlkopfkrebs gerade mal drei wiederveröffentlichte Alben – bei insgesamt 59 Original-LPs. Insofern ist die im letzten Dezember aufgelegte Vier-CD-Box „Yes I can!“ (Warner Archives/ Rhino) mit 300 Minuten Spielzeit eine überfällige Retrospektive, die neben zahllosen Lounge-Nummern und dem Kinderliedhit „The Candy Man“ – das Davis zeitlebens verachtete, weil es nicht zu seinem Image als Playboy und Swinger passte – hervorragend kompilierte Live-Aufnahmen enthält. Denn allein auf der Bühne entwickelte Davis die volle Dynamik des Augenblicks. Plötzlich begleitet er sich am Schlagzeug selbst zum Medley aus „West Side Story“ oder imitiert minutenlang Hollywood-Stars, von Laurel & Hardy über Marlon Brando bis Jerry Lewis: alles mit der coolen Perfektion eines Künstlers, der schon als Dreijähriger für den Bühnenact seines Vaters steppen durfte.

Dabei gefielen die Imitationen dem alten Sam Davis nie. Schon in den Fünfzigern warnte er seinen Sohn davor, es sich damit nicht bei weißen Schauspielern zu verscherzen. Das Gegenteil war der Fall: Erst in der naturgetreuen Imitation von Stimmen und Gesten merkt man, dass Sammy Davis Jr. sich nie für die Hautfarbe interessierte. Ohne seinen Drang ins Rampenlicht hätten es allerdings Prince oder Michael Jackson als Popstars jenseits der Rassenlinie sehr viel schwerer gehabt. Nicht bloß bei US-Präsidenten.