Angela Merkels kleine Schwester

Gabriele Zimmer ist genauso unscheinbar wie die neue CDU-Vorsitzende. Befähigt sie gerade das, um die PDS aus ihrer Krise zu führen?

von JENS KÖNIG

Plötzlich wollen alle so einen Ostler haben. Bescheiden, hartnäckig, unscheinbar. Jemanden, dem seine Frisur nicht so wichtig ist, der aber gerade wegen seines ostdeutschen Ponys so sympathisch rüberkommt. SPD, Grüne, FDP, ja sogar die PDS – alle suchen sie die politische Landschaft fieberhaft nach geklonten Angela Merkels ab. Alle wollen davon profitieren, dass eine Frau aus dem Osten zum ersten Mal seit Katharina Witt wieder Kult wird. Und diesmal geht’s nicht um das schönste Gesicht des Sozialismus, sondern um das des Kapitalismus. Ein bisschen herb, ein bisschen streng, aber mit einem versteckten Lächeln, das unwiderstehlich ist. Es ist bestimmt nur noch eine Frage der Zeit, wann sich Angela Merkel nackt im Playboy rekelt.

Als erste Partei fündig geworden bei ihrer Suche ist ausgerechnet die PDS. Der Vorstand der Partei präsentierte gestern Gabriele Zimmer einstimmig als ihre Kandidatin für den PDS-Vorsitz. Sie soll ihren Job offiziell im Oktober antreten, ihre Wahl auf dem dann stattfindenden Parteitag in Cottbus gilt als Formsache.

Die 45-jährige Suhlerin ist von ihrer Art her wie die kleine Schwester von Angela Merkel: offen, ruhig, pragmatisch, zäh. Zimmer ist, ebenso wie Merkel, die lebende Antithese zu dem gängigen Vorurteil, Politik sei nur ein Geschäft für knallharte, ausgebuffte Typen. Da das Unkonventionelle im politischen Betrieb seit Angela Merkel ja Konjunktur hat und im Osten eh gut ankommt, könnte sich Gabriele Zimmer für die PDS noch als ein Glücksgriff erweisen.

Vielleicht wird sich die Bild-Zeitung, wie bei Merkel, nicht gleich für ihre Frisur interessieren, aber Aufmerksamkeit wird die Entscheidung erregen. Gabriele Zimmer ist schließlich die Frau nach Gregor Gysi und Lothar Bisky. Der Rückzug der beiden profilierten Politiker von ihren Ämtern auf dem Parteitag in Münster hat die PDS in eine Führungskrise gestürzt. Für viele außerhalb der Partei haben allein Gysi und Bisky die PDS und ihren Sinn verkörpert. Zimmer muss als designierte neue Chefin nicht mehr und nicht weniger als die Frage beantworten, wozu die Bundesrepublik eine Partei links von der SPD braucht und vor allem, worin ihr Programm besteht. Die bloße Tatsache, dass die PDS ein Phänomen aus dem Osten ist, das der Westen nicht versteht und ausgrenzt, wird die Partei nicht noch einmal zehn Jahre erfolgreich tragen. Selbst im Osten entbrennen neue Kämpfe. Die SPD wird der PDS das Image der sozialen Gerechtigkeit streitig machen, und die CDU unter Merkel die Interessenvertretung der Ostdeutschen.

Misst man Gabriele Zimmer an dieser großen Herausforderung, der selbst Gregor Gysi nicht immer gewachsen war, wird aus ihr ganz schnell wieder die kleine, graue Maus, für die sie ohnehin nicht wenige in der PDS-Spitze halten. Zimmers Stärke ist nämlich zugleich ihre Schwäche. Sie verdankt ihr Amt allein dem Merkel-Effekt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Gysi und Bisky eigentlich andere Pläne in Bezug auf ihre Nachfolger hatten: Sie favorisierten Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch als neuen Parteivorsitzenden und Roland Claus als neuen Fraktionschef. Besonders Gysi hielt Bartsch sowohl intellektuell als auch organisatorisch für den Einzigen mit dem Format, die PDS nach ihm und Bisky führen zu können.

Innerparteilich sprachen allerdings zwei Gründe gegen das Führungsduo Bartsch/Claus: Die beiden Spitzenposten mit zwei Männern zu besetzen, schien in Zeiten der Angela-Merkel-Euphorie nicht gerade angebracht. Außerdem fürchteten viele in der PDS, Bartsch könnte den Reformkurs kompromissloser fortsetzen als Lothar Bisky und die Partei damit einer Zerreißprobe aussetzen. Also hieß plötzlich die Devise: Eine Frau auf den beiden Spitzenposten muss sein. Da Claus von der Mehrheit der Fraktion von Anfang an als ihr neuer Chef gewollt wurde, war klar, dass eine Frau die Partei führen würde.

Die Berliner Landeschefin Petra Pau hatte für diesen Posten lange Zeit die besten Chancen. Aber mehrere in der engeren Parteiführung trauten ihr diese Aufgabe einfach nicht zu. Außerdem ist ihr Verhältnis zu Bartsch nicht das beste, und es war absehbar, dass Bartsch unter einer Parteichefin Pau nicht Bundesgeschäftsführer bleiben würde. Also wurde nach einer anderen Kandidatin gesucht, die es Bartsch als einem der starken Männer der PDS ermöglichen sollte, sein Gesicht und seinen Posten zu wahren.

Da kam Gabriele Zimmer ins Spiel. Die Fraktionschefin im Thüringer Landtag gehört ebenso wie Pau zum Reformflügel der PDS, aber sie wird, so die Hoffnungen der Parteiführung, den Integrationskurs des scheidenden Parteichefs Bisky eher fortsetzen als die Berlinerin. Das ist jedoch schon das Einzige, was die Kandidatin qualifiziert. Zimmer gehört zwar seit Jahren zum einflussreichen innerparteilichen Machtzirkel der ostdeutschen Landespolitiker, aber dass sie seit drei Jahren zugleich stellvertretende Bundesvorsitzende der PDS ist, ist außerhalb der Partei kaum jemandem aufgefallen. So war die Wahl zwischen Pau und Zimmer fast so egal wie die Frage, ob man von links oder rechts erschossen wird.

Aber wie war das mit Angela Merkel? Galt sie nicht auch einmal als Verlegenheitslösung? Das ist der Vorteil der Unscheinbaren: Man weiß bei ihnen nie genau, was noch so alles kommt.

Hinweis:Plötzlich wollen alle so einen Ostler haben. Bescheiden, hartnäckig, unscheinbar. Jemanden, dem seine Frisur nicht so wichtig ist.