Angst vor dem Mann

■ Prozess wegen sexueller Belästigung

„Ich nehme Ihnen Ihre Angst nicht ab“, sagte der Verteidiger gestern zu der jungen Frau in Saal 551 des Amtsgerichts. Sein Mandant, ein 44-jähriger Gastwird, war angeklagt, die Frau sexuell belästigt zu haben. „Ich nehme Ihnen Ihre Angst nicht ab“, sagte der Anwalt so oft, bis die Frau zu weinen anfing. Zwei Versionen für die Ereignisse an einem Tag im Mai 1999 hörte das Gericht: Der Gastwirt erklärte, einer seiner Gäste habe seine Geldbörse vermisst. Der Wirt durchsuchte das Lokal, fand auf der Damentoilette das leere Portmonee und in der Tasche der Zeugin, die als Kellnerin bei ihm arbeitete, das Geld. Er habe sie rausgeworfen und mit einer Anzeige gedroht. Die Anzeige ihrerseits wegen sexueller Belästigung sei lediglich eine Retourkutsche.

Die Version der jungen Frau klang anders: Gleich an ihrem ersten Arbeitstag „hat er mich zu sich gezogen, mich umarmt, hat mich gestreichelt an manchen Stellen, wo er mich nicht streicheln sollte.“ Zwischen den Beinen, am Po, am Bauch. „Am Anfang habe ich mich nicht so richtig gewehrt, weil ich Angst hatte.“ Dann habe sie seine Hände weggeschoben. Als die Anmache am folgenden Tag weiterging, habe sie aufgehört. „Wenn ich vor etwas Angst habe, gehe ich und hoffe nicht, dass mir meine schönen Augen helfen“, bellte der Anwalt die Zeugin an. Und wieder: „Die Geschichte mit der Angst nehme ich Ihnen nicht ab.“ „Müssen Sie auch nicht“, schaltete sich der Richter ein. Als der Anwalt dann einmal mehr wissen wollte, wann, wie und wo der Angeklagte Schritt, Beine und Po der Zeugin angefasst habe, unterbrach der Richter: „Da können wir uns alle was drunter vorstellen.“ „Ich nicht“, erklärte der Verteidiger. Und ob die junge Frau vor dem Angeklagten als Mann oder als Arbeitgeber Angst gehabt habe. Außerdem: „Wir müssen irgendwann auch die Frage nach Missbrauch eines Beschäftigungsverhältnisses stellen.“

Nach zweieinhalb Stunden wurde die Verhandlung unterbrochen. Am Dienstag geht's weiter. sgi