Hinter der Oberfläche lügt die Stadt

Berlin ist nicht Pop, Berlin ist Trash. Und: Ich leide gern an Berlin. Das sagt der Lyriker Björn Kuhligk, der aus Satzabfällen der Sprache einen Schacht baut, in der sie überwintern kann. Ein Porträt mit Weizenbier

Für Björn Kuhligk scheint die Sprache zu den bedrohten Arten zu gehören. In seinen Gedichten wird gestammelt und gestottert, Metaphern enden im Werbeklischee. Ob die „ewige Kippe“ des Marlboro-Cowboys oder der abgehackte Slang der Nachmittagstalkshow – selbst die unbeachtet dahinflimmernden Fernsehbilder werden bei Björn Kuhligk literarisch recycelt.

„Die besten Einfälle“, so stellt er fest, „bekomme ich abends vor der Glotze. Wenn ich da etwas Interessantes sehe, greife ich zum Zettel und schreibe es auf.“ Sehen ist für sein Schreiben wichtig. Er sei ein Augenmensch, einer, der sich die Welt über Bilder erschließt. Kein Wunder, dass er sich da auch seine Poetik durchs Fernsehen zusammengezimmert hat. Außer zerstückelten Bildern gibt es dort ja auch einen reichhaltigen Fundus an Sprache. Und der ist meist ebenso zerschnitten und abgehackt. Über die Lyrik setzt er sich später diese Satzfetzen neu zusammen und gibt ihnen eine andere Qualität: „Ich habe der Sprache einen Schacht gebaut / darin sie überwintern kann.“ Mit Pop hat das sicher nichts zu tun. Eine Feststellung, die dem Preisträger des fünften Open Mike wichtig ist.

Pop. Kaum dass das Unwort gefallen ist, verliert sein Gesicht jenes Lächeln, mit dem er eben noch sympathisch über sein Weizenbierglas hinweg gestrahlt hat. Er zündet sich eine Zigarette an und holt weit aus. Popliteratur ist für ihn wie Blümchenlyrik – trivial und uninteressant. Das hat auch mit Berlin nichts zu tun, selbst wenn viele Feuilletons das immer so sehen wollen. „Berlin ist nicht Pop, Berlin ist Trash.“ Kuhligk fährt sich mit der Hand über seinen dunklen Dreitagebart, und das Strahlen kehrt in seine Augen zurück.

Beim Thema Berlin ist er in seinem Element. Anders als jene Literaten, die sich, angezogen vom glatt gebügelten Werbeimage des Neuen Berlins, erst seit kurzer Zeit in der Stadt tummeln, ist sie für ihn eine altbekannte Gefährtin. 1975 in Lankwitz geboren, hat Kuhligk fast sein ganzes Leben in Berlin verbracht. Die Stadt ist ihm zum literarischen Materiallager geworden. Wer dahinter allerdings seichte Literatur der Neuen Mitte vermutet, der sollte die Finger von Kuhligks Büchern lassen. Hinter der Oberfläche lügt die Stadt, dass sich die Worte biegen – zumindest in seinen Gedichten. Da holen sich irgendwo Penner nachts den Tod ab, und auf der Autobahn fahren Wahnsinnige stundenlang in die Leitplanken rein.

Es sei eine Hassliebe, die ihn an diese Stadt binde, sagt er. Da sei eine Menge Unmut mit im Spiel. Dass er Berlin aber auch zum Schreiben braucht, ist selbstverständlich, zumal man sich als Lyriker ja auch an dem wunderbaren Stoffreservoir abarbeiten kann. Dann guckt er mit seinen freundlichen Augen in die Ferne, als fragte er sich, was ihm die Stadt eigentlich getan hat.

„Ich leide jedenfalls gern an Berlin“, sagt Kuhligk und schiebt das Thema vom Tisch. Schließlich gibt es auch noch genügend andere Dinge: „Küsse und Brüste zum Beispiel“, und schnell nachgeschoben: „die meiner Freundin, meine ich“. Er habe, so gesteht Björn Kuhligk, vor einiger Zeit die Liebeslyrik wiederentdeckt.

Die Freundin ist die Einzige, die beim Schreiben im gleichen Raum sein darf. „Aber meistens schreibe ich nachts, wenn ich allein bin.“ Während in Kreuzberg die letzten Kneipengäste nach Hause wanken, kramt Kuhligk seine Notizzettel hervor und begutachtet die aufgepickten Wortbrocken. Anschließend bastelt er dann vor dem Computer Gedichte daraus zusammen. „Schreiben ist für mich zumeist collagieren. Ich nehme die Notizen und schaue, was zusammenpasst.“

Diese Flickarbeit betreibt Björn Kuhligh sehr erfolgreich. Nach vier bereits vergriffenen Gedichtbänden erscheint demnächst im Duisburger Klaus Bielefeld Verlag das Buch „Draußen fällt ein Vogel“. Zudem tritt er auch immer wieder durch öffentliche Lesungen in Erscheinung. Zuletzt am 6. Mai, als er in der ausverkauften Volksbühne zusammen mit Jan Wagner, Crauss, Tom Schulz und Stephan Maus bei der „Lesershow“ der Neuen Gesellschaft für Literatur zu hören war. Bei solchen Gelegenheiten gibt er dann die Worte und Bilder zurück, die er sich nur aus den Stadtlandschaften oder dem Fernsehen geborgt hat.

Dass er dabei trotz wachsenden Erfolges sicher nicht das große Geld mit in seine Kreuzberger Singlewohnung nehmen kann, trägt Björn Kuhligk mit Fassung. Schließlich weiß jeder, dass man mit Gedichten nicht reich wird. Den prosaischen Lebensunterhalt verdient er sich als Buchhändler, Lyrik ist für ihn nur Zeitvertreib. Aber einer, an den er einen hohen Anspruch legt. „Auf keinen Fall will ich allgemeingültig schreiben. Ziel ist es immer, ästhetisch radikal zu sein.“

RALF HANSELE