Die Gurkentruppe von der Spree

Der anonym lancierte Versuchsballon, Kulturstaatsminister Michael Naumann könnte der nächste SPD-Spitzenkandidat in der Hauptstadt werden, offenbart das mangelnde Vertrauen der Bundespartei in ihren Berliner Landesverband

von DOROTHEE WINDEN

Das Urteil fällt vernichtend aus. Eine „Katastrophe“ ist die Berliner SPD aus Sicht der Bundespartei: die Hauptstadt-Genossen sind planlos, beharken sich vor allem gegenseitig und sind ein closed shop, eine nach außen abgeschottete Gruppe. Die lokale Führungsriege kennt sich seit 20 Jahren, und auch im Ortsverein haben Zuzügler es schwer, Fuß zu fassen. Neuzugänge werden wie Eindringlinge behandelt.

Auch vom Berliner Spitzenpersonal ist die Bundesriege offenbar so wenig beeindruckt, dass sie der Gurkentruppe von der Spree unter die Arme greifen will. Ein anonymer Genosse raunte dem Nachrichtenmagazin Spiegel zu, wer als Zugpferd für den Wahlkampf 2004 in Frage käme. Modern, kommunikativ, weltgewandt und zukunftsversprechend müsse der Kandidat sein. Es fiel der Name von Kulturstaatsminister Michael Naumann.

Das konnte nur als Misstrauenserklärung gegenüber dem Mann gewertet werden, der gerne der nächste Spitzenkandidat der Landes-SPD werden möchte: der Berliner Parteichef Peter Strieder. In zwei Monaten steht er zur Wiederwahl. Der 48-Jährige, der in der Landesregierung auch das Großressort Bauen, Stadtentwicklung, Verkehr und Umwelt bekleidet, ist zwar unangefochten – doch vor allem, weil es keine personelle Alternative gibt.

Innerparteiliche Strieder-Gegner werten den Spiegel-Bericht als Zeichen dafür, dass die Bundesspitze den 48-Jährigen als Hoffnungsträger abgeschrieben hat. Bei der ersten gemeinsamen Kabinettssitzung im Januar, als Berliner Senatoren und Bundesminister beisammensaßen, machte Strieder keinen guten Eindruck.

Er fiel mit der flapsigen Bemerkung auf, der Bundeskanzler könne als Bauherr des Kanzleramtes im Tiergarten doch mal 18 Millionen Mark für die Pflege des Parks spendieren. Schröder fertigte den Genossen mit einer spöttischen Bemerkung ab: „Ich werde, wenn Sie es wünschen, Herr Senator, die Bundestagsabgeordneten noch einmal ausdrücklich bitten, kein Papier in den Tiergarten fallen zu lassen.“

Die Berliner Bundestagsabgeordnete Siegrun Klemmer hält die Personaldebatte vier Jahre vor der Wahl für „völlig deplaziert“. „Das kann nicht ernsthaft gemeint gewesen sein“, sagt sie. Es müsse sich um eine Bemerkung bei Wein und Bier gehandelt haben. Auch ihr Fraktionskollege Eckhardt Barthel sagt: „Ich nehme das nicht so ernst.“ Naumann sei ein hervorragender Kulturminister. „Und ich habe den Wunsch, dass er bleibt.“

Von Seiten der Berliner Genossen heißt es: „Naumann ist der Falsche.“ Und bei aller Skepsis gegenüber auswärtigen Spitzenkandidaten meint einer: „Es müsste jemand sein, der wirklich eine Zugnummer ist.“ Doch diese Person gebe es auch auf Bundesebene nicht.

So richten sich die Spekulationen auf einen Import, der schon etwas Berliner Stallgeruch angenommen hat: die frühere Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing. Verteidigungsminister Rudolf Scharping hat sie als Geschäftsführerin für die neue Bundeswehr-Agentur gewonnen. Die 45-Jährige, die im Juli als stellvertretende Landesvorsitzende kandidiert, hat sich mit ihrem harten Sparkurs zwar wenige Freunde an der Parteibasis gemacht, doch auf Bundesebene genießt sie hohes Ansehen. Der neue Job und die Rolle als stellvertretende Landeschefin böten die Chance, sich für höhere Aufgaben zu empfehlen.