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: Amos Kollek entdeckt Liebesgefühle, Michael Naumann entdeckt seine autoritäre Seite

DEUTSCHLAND, BLEICHE FATA MORGANA

Dabei hatte der Tag doch so gut angefangen. Anna Thomson serviert als gastronomischer Engel im Coffee-Shop Speck, Spiegeleier und Pommes, nebenbei versucht sie treu sorgend, ihren älteren Gästen gesundes Gemüse und frisch gepressten Orangensaft aufzuschwatzen. Außerdem haben in ihrem unendlich großen Herz eine Mäusefamilie, ein schlüpfriger Liebhaber, ihre Mutter und halb New York Platz. In Amos Kolleks „Fast Food, Fast Women“ (Foto) kratzt die Heldin traumwandlerisch die komödiantische Kurve zwischen Mitgefühl und Selbstaufgabe.

Anders als in Kolleks letzten Filmen „Sue“ und „Fiona“ wird die Misericordia der Heldin nicht zur Passionsgeschichte – Bella liebt ihren Nächsten, aber sie will dabei auch Spaß haben. In diesem Film sehnen sich alle Figuren nach Liebe oder Sex oder beidem, sie denken ständig ans nächste Date, wobei ihre rührende Aufregung durch die flapsige Abgeklärtheit der Dialoge aufgefangen wird. Bella, der ältere Charmeur Paul oder auch Bruno, Taxifahrer mit zwei Kindern und schriftstellerischen Ambitionen – alle wollen noch was vom Leben, und das heißt hier letztlich etwas vom anderen haben, ob sie nun 35 oder 65 sind.

In dieser utopischen Großstadtkomödie gab es auch die schönste Szene des Festivals. Ein Paar um die siebzig liegt zum ersten Mal nebeneinander im Bett. Nach dem ersten Kuss beschließt er, etwas erschöpft, zu schlafen, sie hingegen, noch etwas zu lesen. Dann sprüht sie die Zeitung mit Wasser ein. Er: „Was machst du da?“ Sie: „Damit es nicht knistert.“

Der schöne Film, der strahlend blaue Himmel und dann diese deutsche Zerknirschung: Michael Naumann, Staatsminister für kulturelle Angelegenheiten, lädt zum Pressegespräch ins Luxus-Hotel „Majestic“. Der Mann steht unter Druck, und er ärgert sich. Über die Berliner Presse, die nach dem Rausschmiß des Berlinale-Chefs Moritz de Hadeln „mit einer angezettelten Personaldiskussion Kandidaten vernichten wollte“. De Hadeln, so Naumann, sei keineswegs von der Kündigung überrascht worden, er habe 14 Tage vorher von Kultursenator Stölzl Bescheid bekommen. Die Tatsache, dass Stölzl zu dieser Zeit noch gar nicht im Amt war, versucht Naumann erstaunlich ungeschickt vom Tisch zu wischen: „Ich kenne doch Stölzls Terminkalender nicht.“ (De Hadeln hat dieser Version übrigens in Cannes direkt widersprochen, er beharrt darauf, dass er erst am 27. April per Brief von seiner Kündigung erfahren habe).

Was sagt Naumann zum designierten Nachfolger Dieter Kosslick? „Kein Kommentar.“ Wer bestimmt die Kandidaten? „Es gibt eine Findungskommission, aber Namen werden Sie keine erfahren.“ War es nicht Naumann, der mehr Transparenz in der deutschen Kulturpolitik gefordert hatte? Und wer fällt die Entscheidung über die Nachfolge? „Wenn die Berlinale zukünftig vom Bund übernommen wird, entscheide nur noch ich.“

Überhaupt offenbarte Naumann eine merkwürdig autoritäre Seite („Heben Sie die Stimme am Ende der Frage!“), die so gar nicht zum Bild des Sektglashumanisten passen will. Unfreiwillig lustig wurde es dann beim Thema deutscher Film und Cannes. Der Staatsminister erzählt von „fruchtbaren Gesprächen“ mit Gilles Jacob, wobei sich aber herausstellt, dass außer schönen Worten nichts herausgekommen ist. Dann redet er etwas kryptisch über den Erfolg des deutschen Films im Inland. Plötzlich steht die Regisseurin („Deutschland, bleiche Mutter“) Helma Sanders-Brahms im Raum und entrüstet sich, dass sie seit 1992 keinen Film mehr finanziert bekam. „Dabei hat mir mein Freund Gilles Jacob damals schon die große Galatreppe versprochen.“ Später, unterm blauen Himmel, wirkt das alles wie eine Fata Morgana.KATJA NICODEMUS