Jazz im After-Work-Club

Als DJ und Produzent war LTJ Bukem schon immer da, wo Pop und Drum & Bass nah beieinander liegen. Auf seinem ersten Album hat der Tanzboden gleich Kaminbeleuchtung

von THOMAS WINKLER

Früher war LTJ Bukem ein Pionier. Er konstruierte einige der einflussreichsten, das Genre definierenden Drum-&-Bass-Tracks. Heute, nahezu ein Jahrzehnt später, ist aus einem in sich gekehrten, Brillen tragenden Jüngelchen einer der einflussreichsten DJs, Labelbetreiber, Impresarios und Talententdecker im Tanzbodengeschäft geworden. Ein Pionier ist er trotzdem geblieben – mit seinem ersten richtigen Studioalbum „Journey Inwards“ überführt Bukem die einstmals so widerspenstigen, zuletzt allerdings stagnierenden Formate Jungle und Drum & Bass doch endgültig in die Radiokompatibilität.

Wer bösartig sein möchte, kann behaupten, dass „Journey Inwards“ mit Drum & Bass, wie man ihn kannte, nur mehr sehr entfernt etwas zu tun hat. Und das wäre nicht allzu falsch. Als offensichtlichstes Beispiel kann die Single „Sunrain“ dienen: Flatternde Beats sucht man hier vergebens, stattdessen gibt eine nahezu klassische Bluesrock-Bassline den Rhythmus vor, ergänzt von einem entspannten Klackern, das an Fingerschnippen erinnert. Die Beats per minute zu messen, macht spätestens dann nicht mehr viel Sinn, wenn die Frauenstimme einsetzt und nicht mehr verkündet als „Sunrain right outside my window“, das aber soulful bis zum Anschlag. Dieser Song ist, egal in welchem Genre, zuvorderst und vor allem – ein Hit. Im dazu gehörigen Video fährt Bukem seine Plattenkiste im Cabriolet durchs nächtliche London wie durch ein zum Klischee erstarrtes urbanes Leben.

Vor noch nicht einmal zwei Jahren erzählte Bukem in Interviews: „Ich würde eher aufhören Musik zu machen, als mir von jemandem sagen lassen, ich solle Gesang mit reinnehmen, um kommerzieller zu werden.“ Soll heißen: Wenn LTJ selbst auf die Idee kommt, ist es okay. Exakt dieser Moment ist es, der LTJ Bukem zu dem macht, was er ist. Und er ist: Der einzige DJ, der all die Jahre independent geblieben ist, sich gleichzeitig aber immer am wenigsten independent anhörte. Roni Size und 4 Hero starteten vor drei Jahren mit Major-Labels im Rücken zwar Attacken auf die Charts, aber blieben doch ihrem Kosmos verpflichtet. So betrachtet bildet „Journey Inwards“ den Kontaktpunkt zweier Entwicklungen: Pop und Drum & Bass nähern sich und treffen sich bei LTJ Bukem. Das Ergebnis ist eine stilvolle Untermalung für den After-Work-Club. Oder: Jazz, der auch mal ein Handy-Klingeln verkraften kann.

Im Bukem-Kosmos allerdings ist dieses wahrlich lang erwartete, nach diversen DJ-Sets, Label-Compilations und Remix-Zusammenstellungen erste wirklich eigene Album des Meisters vor allem Essenz und Überblick über das bisherige Schaffen. Mit Tracks wie „Close to the Source“ oder „Viewpoint“, in denen die Rhythmik Amok läuft, sucht er Anschluss an die Vergangenheit, in der er zu Beginn der 90er mit Tracks wie „Horizons“ oder „Demon Theme“ Drum & Bass mit definieren half. Intelligent Jungle nannte man das damals. Den anderen Pol bilden die watteweichen Knuffelstücke mit Geigenwänden und herum mäandernden Saxophonen: Tanzboden mit Kaminbeleuchtung. Hier ehrt Bukem seine allergrößte Liebe, den Jazz. Dazwischen gäbe es zwar allerlei zu erforschen, aber das überlässt Bukem anderen. Er selbst sorgt für die möglichst hoch glänzende Umsetzung in schillernden Farben.

Das mag schöner Schein sein. Bukem ist das egal. Sein immer wieder verbreitetes Credo ist, offen für alles zu sein, es gebe nur gute und schlechte Musik. Für die Genregrenzen hat er sein Londoner Imperium Good Looking Records, die Firma mit den größten Umsätzen im Drum & Bass, in bis zu zehn Plattenlabels aufgesplittet und mitunter 30 Künstler unter Vertrag. Von seinen weißen Adoptiveltern aus der Mittelschicht bekam der 1967 in London als Danny Williamson geborene Bukem eine solide Musikschulausbildung in den Fächern Klavier, Trompete und Schlagzeug finanziert. Diese instrumentalen Fähigkeiten unterscheiden ihn grundsätzlich von seinen DJ-Kollegen. So jemand denkt weniger in den mathematischen Grundformen, die die Arbeit mit Computern eigentlich vorgeben.

Nicht umsonst ist „Journey Inwards“ weitgehend mit echten Musikern aufgenommen. Bukem träumt gar davon, eine Live-Platte einzuspielen, sodass wie auf alten Jazzplatten das Klatschen und Jubeln des Publikums zu hören ist. Ein anderer Traum ist es, sein Haus zum ganz altmodischen Studio umzubauen, in das er sich komplette Orchester einladen kann. Bislang wird zwar bereits zu Hause produziert, aber noch mit digitalem Equipment und vor allem auf der Couch im Wohnzimmer. Scheint ein überaus weiches Polstermöbel zu sein.

LTJ Bukem: Journey Inwards (Good Looking Records/ EFA) Progression Sessions Tour mit DJs Bukem, Blame, Rantoul und MCs Conrad und DRS: 17. 5. Bielefeld, 18. 5. Berlin, 19. 5. Nürnberg, 20. 5. Wuppertal, 24. 5. Hamburg, 25. 5. Frankfurt, 26. 5. Hannover, 27. 5. Ludwigshafen