Die Landpomeranzen

Auf „Secret South“ geben 16 Horsepower die Familiengeheimnisse der armen Leute aus dem Süden preis  ■ Von Jörg Feyer

Whiskey trinkt man nicht aus Plastikbechern. Auch nicht in der öden Garderobe des „Effenaar“ in Eindhoven, wo 16 Horsepower gleich die vorletzte Show einer kleinen Holland-Tour spielen werden – und erst recht nicht, wenn es sich um edlen „Talisker“ handelt. „Alles ziemlich aufregend hier, was?“, lacht David Eugene Edwards, ein sarkastischer Seitenhieb auf die ewige Backstage-Mixtur aus lähmender Langeweile und aufkeimender Nervosität.

Derweil Drummer Jean-Yves Tola Tro-ckenübungen macht und Bassist Pascal Humbert versunken in sich hineinmeditiert, findet Edwards doch noch ein halbwegs würdiges Trinkgefäß für den 10 Jahre alten Malt von der Isle Of Skye. Die Prä-Gig-Tristesse bekämpft er zudem mit einem Song des Cellistinnen-Trios Rasputina. Immer wieder hüpft er zum Ghettoblaster, drückt die Repeat-Taste für sein Warm-Up-Mantra. Gut zwei Stunden später wird er den „Black Soul Choir“ anstimmen. „It' s all evil, we' re all liars...“ Und die Menge im gefüllten Club wird einstimmen, als stünde da oben der Messias auf der Bühne.

Dabei ist Edwards neuerdings bemüht, die Sache mit der Bibel etwas niedriger zu hängen. „Wir wollen auf keinen Fall als so eine christliche Rockband dastehen“, sagt der 16 Horsepower-Songwriter, als wir über das Zitat seiner Mutter Carol in der aktuellen Bio sprechen. Die hat ihren Sohn fest im Blick, wenn sie schreibt, die Band erzähle die „zerbrechliche Geschichte des bankrotten Zustands der unsterblichen menschlichen Seele und der unverdienten Gnade ihres Schöpfers“. Dass „andere in der Band das anders sehen“, muss Edwards kaum extra betonen. Gegen Moms Verdikt hatten sie trotzdem nichts. Und gegen die Geige von Edwards 12-jähriger Tochter Asher natürlich auch nicht. It's a family thing.

Mit dem dritten Album Secret South kehrt die Musik von 16 Horsepower dorthin zurück, wo sie einst vor zwei, drei Generationen ihren Ursprung hatte. In eine einsame log cabin, die indes für die Sessions nicht in den Appalachen stand, sondern oben in den Bergen von Colorado. Mit geliehenem Aufnahme-Equipment ging die Band vier Wochen in Klausur. Das Abendmahl selbst fischen war schon die einzige Ablenkung. Und das, so Edwards, „war gut so, denn zum ersten Mal waren wir ja für alles selbst verantwortlich. Das Selbstbewusstsein fehlte uns nicht, aber ob es dann wirklich klappen würde, war ja nicht von vornherein klar.“

Ohnehin zielt Secret South nicht auf Geographie, sondern auf einen „Bewusstseinszustand“ (Edwards), auf die armen, ungebildeten Leute auf dem Land, die „schon sehr lange so leben wie sie leben“. Ihr Leben teilt Edwards nicht, ihren Glauben schon – und auch viele der Familien-Geheimnisse, die dort unter der freundlichen Oberfläche rumoren. Einigen davon geht Edwards auf Secret South auf den Grund – im festen Glauben, dass sich „jeder in diesen Situationen wiederfinden“ könne. Die Schwierigkeit bestehe darin, „genug Informationen zu liefern, um etwas klarzumachen – aber nicht das preiszugeben, was das Publikum veranlassen könnte, auf diese einfachen Leute nur he-rabzuschauen“.

Den Plattenfirmen-Seiltanz haben 16 Horsepower dafür ausgestanden. Spätes-tens im Fusionsfieber von Polygram und Universal war ihr Schicksal als A&M-Altlast besiegelt. Es sei aber „keine schmutzige Scheidung“ gewesen, betont Edwards, um dann zu einer Eloge auf die Down-To-Earth-Attitüde der neuen Arbeitgeber von Glitterhouse anzuheben, die die Band ohne Produzent und aktuelle Arbeitsproben einfach machen ließen. Da oben in den Bergen. Nur eins wunderte David Eugene Edwards denn doch. „Wie können sie eine Band unter Vertrag nehmen, die sie noch nie live erlebt hatten?! Es tat gut, dass da jemand soviel Glauben in unsere Musik hatte. Aber ich machte mir schon Sorgen, dass sie hinterher sagen: ,Verdammt, 16 Horsepower waren ein Fehler!'“

Den Bühnen-Eindruck werden die wackeren Mitstreiter der neuen Firma jetzt nachholen: Derzeit trinkt Edwards seinen „Talisker“ nämlich wieder in deutschen Garderoben.

So, 21. Mai, 21 Uhr, Fabrik