Die Ausnutzer-Generation

In von Mayenburgs Parasiten saugen sich die Figuren gegenseitig aus - was in Ostermeiers Inszenierung alles andere als komisch ist  ■ Von Karin Liebe

Der Mensch ist ein Parasit. Schon vor seiner Geburt fängt das Drama an. „Ich hab einen Parasiten mit Armen und Beinen“, beklagt sich Friderike über ihre Leibesfrucht. Aber die Schwangere selbst ist ein Schmarotzer. Sie nistet sich in der Wohnung ihrer Schwester Betsi ein und lässt sich dort füttern und bedienen – höchst widerwillig, ohne ein Wort des Danks.

In Marius von Mayenburgs neuem Stück Parasiten wimmelt es vor Menschen, die sich gegenseitig aussaugen, benutzen, mit gehässigen Worten überschütten und doch nicht voneinander lassen können. Nach Feuergesicht, dem klaustrophobischen Familiendrama, das vor einem Jahr am Malersaal in der Inszenierung von Thomas Ostermaier Publikum wie Kritik begeisterte, hat sich der 28-jährige Hausautor und Dramaturg der Berliner Schaubühne wieder ein hochgradig beklemmendes Beziehungsstück ausgedacht. „Gestank“ hieß die ursprüngliche, vor über einem Jahr geschriebene Fassung. Von Mayenburg missfiel sie so sehr, dass er sie noch einmal völlig umschrieb und ihr einen neuen Titel verpasste.

Diesen Donnerstag feiert Parasiten nun als Koproduktion des Hamburger Schauspielhaus und der Berliner Schaubühne im Malersaal seine Uraufführung. Und wieder heißt der Regisseur Thomas Ostermaier. Ostermaier gilt als Shooting-Star der Theaterszene. Seine phantasievoll-vitalen Inszenierungen an der Berliner Baracke sorgten dafür, dass die kleine Bühne 1998 zum Theater des Jahres und der heute 31-Jährige 1997 und 1998 zum Nachwuchsregisseur des Jahres gewählt wurde. Seit Anfang 2000 ist Ostermaier künstlerischer Leiter der Berliner Schaubühne, wo er zusammen mit der Choreografin Sasha Waltz den gleichberechtigen Dialog zwischen Tanz und Schauspiel probt – bislang mit eher durchwachsenem Erfolg.

Bei der Stückewahl, so Ostermaier, treibe die Schaubühne eine Art „Komödienvermeidungsstrategie“. Parasiten, als Auftragsarbeit für das Hamburger Schauspielhaus geschrieben, reiht sich nahtlos in dieses Konzept ein. Das Stück ist wirklich alles andere als komisch. Selbst wer es an einem strahlend sonnigen Tag liest, dem geht die Sommerstimmung schon nach wenigen Sätzen flöten. Ringo (Mark Waschke) sitzt im Rollstuhl, weil ihn der alte Multscher (Werner Rehm) überfahren hat. Er vergräbt sich in der Wohnung, wo ihn seine Frau Betsi (Inka Friedrich oder Cristin König) tapfer pflegt. Als dann noch deren selbstmordgefährdete schwangere Schwester Friderike (Karin Pfammatter) auftaucht und wenig später ihr verlassener Ehemann Petrik (Tilo Werner) um Einlass winselt, spitzt sich das Beziehungsdrama zu. Die wechselseitigen parasitären Strukturen stehen kurz vorm Platzen.

Jede Beziehung sei eine permanente Belastungsprobe, betonen von Mayenburg und Ostermaier. Auch eine angeblich normale Beziehung sei nicht frei von symbiotischen Anteilen. Das hat von Mayenburg vor zehn Jahren am eigenen Leib erfahren, als er nach dem Abitur aus lange gewohnten Zusammenhängen herausfiel und eine „unheilvolle Symbiose“ einging. Ostermaier interessiert an Parasiten besonders die Frage, wie Krisensituationen eine Beziehung verändern. Wie geht jemand damit um, wenn der Partner plötzlich querschnittsgelähmt ist? Strahlt ein körperliches Handicap auf die Seele zurück? In einer Art „Erinnerungsdramaturgie“ voller innerer Monologe, Überlappungen und Ebenenwechsel will Ostermaier die gegenseitigen Abhängigkeiten und Verstrickungen aufdecken. Bis der Parasit in den tiefsten Eingeweiden bloßgelegt ist. Das wird weh tun, doch eins versprechen Autor und Regisseur: „Es gibt keine Toten!“

Premiere: Do, 18. Mai; weitere Vorstellungen: 19. + 20. + 22. bis 25. Mai, jeweils 20 Uhr, Malersaal