27 Titel sind viel zu wenig

Präsident Nuñez verabschiedet sich nach 22 Jahren vom Chefsessel des FC Barcelona. Spekulationen um seine Nachfolge und das Überleben von Trainer Louis van Gaal

von REINER WANDLER

„Und sie bewegt sich doch!“, lautete der trotzige Satz von Galileo Galilei vor der Inquisition, der am besten zum Ausdruck bringen dürfte, was die Mehrheit der über 100.000 Mitglieder des FC Barcelona empfindet, nachdem Präsident Josep Lluis Nuñez gestern ankündigte, die Vorstandsetage des Camp Nou zu verlassen und noch vor dem Sommer Wahlen anzusetzen.

Vor genau 22 Jahren und elf Tagen war Nuñez auf den höchsten Posten des katalanischen Fußballhimmels gewählt worden. Nichts schien ihn von dort vertreiben zu können. 27 Titel – darunter sieben im Europacup – waren genug, um ihm trotz ständig wachsender Opposition regelmäßig die Wiederwahl zu sichern. Die nächste hätte im Jahre 2002 angestanden. Selbst als Nuñez Publikumsliebling Ronaldo ziehen ließ, hielt er der Kritik ebenso stand wie nach dem Bruch mit dem beliebtesten und mit elf Titeln zugleich erfolgreichsten Barça-Trainer aller Zeiten, Johan Cruyff. Jetzt stolperte Nuñez über einen anderen Holländer, den derzeitigen Coach Louis van Gaal.

„Was dem Intimfeind von Nuñez, Cruyff, nicht gelang, hat van Gaal, der enge Freund von Nuñez, geschafft“, bewertet Vorstandsmitglied Josep Casals den Rücktritt des Präsidenten. Drei Jahre nachdem van Gaal das Camp Nou zum ersten Mal betrat, gibt es in Barcelona nur noch einen, der etwas auf ihn hält: Präsident Nuñez. Fans und Clubmitgliedern ist nicht nur die sportliche Ernte – drei Titel in drei Jahren – zu wenig. Sie stört, was van Gaal aus der blauroten Mannschaft gemacht hat. Nach und nach besetzte er alle wichtigen Posten mit Spielern aus seinem Heimatland. Nuñez genehmigte van Gaal alle Wünsche, egal wie teuer. Erfolg brachte dies dennoch nicht. In den vergangenen Wochen schwenkten die Fans immer wieder weiße Tücher und forderten lautstark den Rücktritt von van Gaal und Nuñez.

Aus der Champions League schied der Club im Halbfinale gegen den spanischen Gegner Valencia aus. Und im Pokal trat der FC Barcelona im Halbfinale gegen Atlético Madrid nicht an, mit der Begründung, dass zu viele Spieler zu ihren Nationalmannschaften gereist wären. Das letzte Spiel, das Nuñez und van Gaal zusammen erleben werden, wird morgen angepfiffen. Am letzten Spieltag der spanischen Liga muss den Blauroten Fortuna sehr hold sein. Nur wenn Tabellenführer Deportivo La Coruña gegen Español Barcelona verliert und Barça gegen Celta Vigo gewinnt, reicht es noch zur Meisterschaft.

„Unser Publikum kommt mit vorbereiteten Transparenten gegen unsere eigene Mannschaft. Ich möchte unter diesen Bedingungen einfach nicht mehr weitermachen“, erläuterte Nuñez seinen Entschluss. Einen Wunschkandidaten für seine Nachfolge hat er nicht. Zwar will sich Stellvertreter Joan Gaspart um das Amt des Barça-Präsidenten bewerben, doch auf die Unterstützung seines Ziehvaters kann er nicht bauen. Dem ist Gaspart zu stark mit einer der großen Spieleragenturen verbunden. Als Favorit gilt der 70-jährige Josep Lluís Vilaseca, früher in der katalanischen Regierung für den Sport zuständig.

Nuñez will jedoch nicht gehen, ohne vorher dem FC Barcelona noch einmal seinen Stempel aufzudrücken. Er will van Gaal doch entlassen und auf die Schnelle noch die gesamte Mannschaft umbauen. „Das ist eine kafkaeske Situation. Nicht einmal Diktator Franco ließ alles so zurück, wie er es sich vorstellte“, wettert einer der Oppositionsführer, Carles Turquets. Zusammen mit anderen Nuñez-Kritikern will er nach einem Kandidaten suchen. Viele schauen dabei auf eine Schlüsselfigur in der Nuñez-Opposition, Johan Cruyff. „Vor einem Monat hätte ich nichts dagegen gehabt, offen zu sagen, was ich denke“, hält sich der Holländer diplomatisch bedeckt, „aber jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um die Dinge beim Namen zu nennen.“