juttas neue welt
: GUTENBERG, DER CYBERSTAR AUS MAINZ

„Mainz ist die provinziellste Landeshauptstadt Deutschlands“, schimpft mein Kollege aus dem Ruhrgebiet. Und zugegeben: Meine Versuche, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, scheiterten bislang kläglich. Dabei hat Mainz etwas, da kann keine Metropole der Welt mithalten – selbst Castrop-Rauxel nicht: Das rheinland-pfälzische Nest ist die Geburtsstadt von Johannes Gutenberg, dem „Mann des Jahrtausends“, und somit die Brutstätte der epochalen Erfindung des Buchdrucks.

Pünktlich zum 600. Geburtstag Gutenbergs steht ganz Mainz Kopf – genau so wie die Lettern aus Blei, mit denen er einst Druck machte – und feiert seinen Medienrevolutionär mit einer wahren Springflut an Veranstaltungen und einem druckfrisch sanierten Gutenberg-Museum. Oder mit lustigen Plakaten am Straßenrand: „Was wäre aus Goethe ohne Gutenberg geworden?“ lautet die provokative Frage. Und da posiert der Dichterfürst linkisch mit einer roten Kelle in der Hand. Statt mit Faust und Iphigenie hätte sich der Geheimrat also mit dem offenbar damals schon völlig unüberschaubaren Verkehrsaufkommen in Weimar herumgeschlagen.

Nur: Was wäre aus Johannes Gutenberg geworden, wenn er nicht ausgerechnet im beschaulichen Mainz inmitten einer Weingegend aufgewachsen und von einer Weinpresse zu seiner Erfindung inspiriert worden wäre? Oder noch genauer gefragt: Was wäre bloß aus uns allen geworden? Wir würden wahrscheinlich heute noch mit Griffeln und Gänsekielen hinter den Ohren herumlaufen, in Schreibstuben sitzen, dort Bibeln abpinseln und die Börsennachrichten per Rauchzeichen übermitteln. Oder vielleicht handschriftliche E-Mails verschicken. Aber mit Sicherheit würden wir keine keine Zeitungen lesen.

Doch glücklicherweise kam alles ganz anders: Gutenberg war Mainzer, erfand die schwarze Kunst und beamte die Menschheit alsbald in die Gutenberg-Galaxis. Und von dort ging es schnurstracks weiter ins digitale Zeitalter. Den auch dem Cyberspace hat der Typograf schon lange seinen Stempel aufgedrückt. Das „Projekt Gutenberg“ (www.gutenberg.aol.de) stellt Texte von über 300 Autoren – von Aischylos bis Zola – zur freien Verfügung. Eine E-Bibliothek, ganz im Sinne des Erfinders, dessen bärtiges Konterfei die Seite verunziert – denn im Gegensatz zu so manchen E-Books sind hier alle Texte immer noch schwarz auf weiß ausdruckbar – wenn auch nur noch selten in Bleisatz. Aber auch sein eigenes Hauptwerk ist bald komplett im Internet zu bewundern: die 42-zeilige Gutenberg-Bibel (ob er damit bereits vor Douglas Adams die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens geben wollte?). Die heilige Druckschrift aus dem Jahr 1454 wurde in der Universität Göttingen Seite für Seite gescannt, Ende Mai gibt es die Digi-Bibel auch auf CD-ROM. Unter der paradoxen Adresse www.gutenbergdigital.de kann man bereits einen Teil der Original-Pergamentseiten anklicken, einzelne Bibelkapitel durchblättern und sich eine Übersetzung des lateinischen Textes zu Gemüte führen – sakrales Surfen durch bibelfeste Blei-Bytes.

Außerdem hat der alte Druckeberger seine eigene Website – und die führt nun wieder direkt nach Mainz zurück. Die Hommage-Homepage www.gutenberg.de bietet Wissenswerte über Leben und Wirken des Erfinders sowie den Veranstaltungskalender des Gutenbergjahres. Mainz jedenfalls ist mächtig stolz auf seinen Bleigießer. Denn immerhin: „Aus dieser Quelle ist alles entstanden“, begeisterte sich bereits Mark Twain. Und auch die Konditoren der Stadt streben jetzt nach weltweitem Ruhm: Mit kleinen Bibeln aus Marzipan wollen sie der Mozartkugel Konkurrenz machen. Und da soll noch mal einer sagen, Mainz sei provinziell! JUTTA HEES

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