INDONESIEN: ERSTMALS SOLDATEN WEGEN EINES MASSAKERS VERURTEILT
: Beispielhaft

Gestern ist in Indonesiens Rechtsgeschichte ein neues Kapitel eröffnet worden. Ein Gericht in der rohstoffreichen und nach Unabhängigkeit strebenden Nordwestprovinz Aceh verurteilte erstmals Soldaten für ein Massaker zu mehrjährigen Haftstrafen. Bis dahin konnten sich indonesische Militärs vor strafrechtlicher Verfolgung sicher fühlen. Die Armee war ein Staat im Staate, für deren Verbrechen nur Militärgerichte zuständig waren. Deren Urteile beinhalteten bestenfalls Versetzung und Degradierung, jedoch nie echte Haftstrafen.

Das gestrige Urteil fällte erstmals ein gemischtes Gericht ziviler und militärischer Richter. Das signalisiert einen ersten Schritt zu einer unabhängigen Justiz, zeigt aber auch, dass die Reformen nicht auf halbem Weg stehen bleiben dürfen.

Im Prozess argumentierte die Verteidigung, die Angeklagten hätten nur Befehle ausgeführt – ein auch in Deutschland aus den Mauerschützenprozessen bekanntes Argument. So richtig die Verurteilung der ausführenden Täter ist, so notwendig ist es, auch die verantwortlichen Hintermänner zur Verantwortung zu ziehen. Die Urteile gegen die Soldaten dürfen kein Alibi sein, sondern können nur der einleitende Schritt für eine Aufarbeitung der Verbrechen des Militärs in Aceh sein. Denn das Massaker, über das gestern gerichtet wurde, ist kein Einzelfall. Allein in Aceh hat es in den vergangenen zehn Jahren nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen 5.000 Todesopfer gegeben. Die Aufarbeitung der blutigen Geschichte ist eine wichtige Voraussetzung für Frieden in Aceh und den von der Regierung gewünschten Verbleib der Provinz bei Indonesien. Nachdem am vergangenen Freitag in Genf Vertreter von Regierung und bewaffneter Unabhängigkeitsbewegung einen dreimonatigen Waffenstillstand schlossen, kann die juristische Aufarbeitung der Verbrechen das notwendige Vertrauen stärken.

Dabei ist Aceh nur ein Beispiel für die Gewalt des Militärs in Indonesien. Die neue Regierung hat die schwere Aufgabe, das Militär weiter zu entmachten und seine Rolle auf die der Landesverteidigung zu reduzieren. Die Demokratisierung wird letztlich nur Erfolg haben, wenn auch die Pogrome von 1965/66 aufgearbeitet werden. Damals kam General Suharto durch Massenmord an ethnischen Chinesen und mutmaßlichen Kommunisten an die Macht.

Die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit ist in erster Linie Sache der indonesischen Bevölkerung. Doch das Ausland ist nicht nur gefordert, Indonesien zu helfen, sondern auch, immer wieder deutlich zu machen, dass es ohne Aufarbeitung keine Normalisierung geben kann – weder innen- noch außenpolitisch. SVEN HANSEN