DIE BUNDESWEHR-DEBATTE HÄLT SICH NUR MIT NEBENSACHEN AUF
: Bedrohliche Provinzialität

Wofür werden die deutschen Streitkräfte künftig gebraucht? Was sollen sie können? Wie viel dürfen sie kosten? Und: Wer hat über all das zu entscheiden? Diese Fragen sollten beantwortet sein, bevor sich Experten im Zusammenhang mit der Strukturreform der Bundeswehr an die Feinarbeit machen, und diese Fragen dürfen nicht allein den Fachleuten überlassen bleiben. Ob die Armee aus 240.000 oder aus 280.000 Soldaten bestehen soll, können Militärs besser beurteilen als andere. Militärpolitische Grundsatzfragen aber müssten Gegenstand einer breiten öffentlichen Diskussion sein – übrigens auch im Interesse der Streitkräfte, denen an einer Verankerung in der demokratischen Gesellschaft gelegen sein muss. Diese Diskussion findet nicht statt.

Es wird argumentiert, die Bundeswehr müsse schlagkräftiger und effizienter werden. Wer wollte da widersprechen? Wenn man sich eine Armee leistet, dann soll sie natürlich auch schlagkräftig und effizient sein. Aber es lohnt dennoch, der Frage nachzugehen, welchen Zielen diese Sekundärtugenden dienen sollen. Gegenwärtig erfährt die deutsche Öffentlichkeit vor allem, wofür die Bundeswehr nach Ansicht der meisten Wehrexperten nicht mehr gebraucht wird: für Panzerschlachten, womöglich noch auf deutschem Boden. Tatsächlich ist die Gefahr eines konventionellen Bodenkrieges seit dem Ende der bipolaren Welt hier erheblich geringer geworden. Wenn aber infolgedessen über die Landesverteidigung so gut wie überhaupt nicht mehr gesprochen wird, dann zeugt das von Besorgnis erregender Leichtfertigkeit. Der Zusammenbruch der Sowjetunion ist von fast niemandem vorhergesehen worden. Umso mehr spricht es für einen beachtlichen Mangel entweder an Fantasie oder an Redlichkeit, jetzt so zu tun, als sei der Frieden in Deutschland unwiderruflich. Weite Teile der ehemaligen Sowjetunion sind politisch instabil, hochgerüstet und in ihrer Entwicklung kaum berechenbar. Dasselbe gilt für eine steigende Zahl außereuropäischer Staaten. Das geplante US-Raketenabwehrsystem droht ein neues Wettrüsten in Gang zu setzen. Die Osterweiterung der Nato bringt Bündnisverpflichtungen gegenüber Ländern mit sich, die an die frühere UdSSR grenzen. Und wir halten es für unnötig, eine breite Diskussion über das Thema Verteidigung zu führen?

Zugegeben: So lange nichts passiert, ist die traditionelle Aufgabe der Landesverteidigung vor allem teuer und ansonsten langweilig. Der weitere Ausbau von Krisenreaktionskräften birgt erheblich mehr Zündstoff. Und erst ihr Einsatz! Zu dem soll es natürlich, wie die rot-grüne Bundesregierung beteuert, so selten wie möglich kommen. Noch steht nicht fest, wie viele Soldaten genau zur schnellen Truppe gehören sollen. Als sicher aber kann gelten, dass künftig mehr als die Hälfte der Bundeswehr aus Krisenreaktionskräften bestehen wird. Die hohen Kosten solcher Truppenteile lassen sich auf Dauer nur rechtfertigen, wenn der Bevölkerung plausibel gemacht werden kann, dass sie tatsächlich gebraucht werden. Dafür müssen sie aktiv werden, andernfalls droht ihnen der Verlust der Legitimität. So entstehen Kriege.

Offen ist, welches Mitspracherecht dem Bundestag künftig bei der Beteiligung deutscher Streitkräfte an Einsätzen außerhalb des Bündnisgebietes eingeräumt werden wird. Die Bemühungen um eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik schreiten voran. Viele Argumente sprechen dafür. Aber noch so gute Gründe können nicht rechtfertigen, dass über den politischen Preis, der für dieses Konzept entrichtet werden müsste, gar nicht erst gesprochen wird. Wenn die Bundesrepublik im Rahmen der europäischen Arbeitsteilung für bestimmte militärische Aufgaben alleine zuständig ist: Wie kann das deutsche Parlament dann noch gegen die Teilnahme an einem Nato-Einsatz stimmen, bei dem diese Fähigkeiten gebraucht werden?

Vor dem Kosovo-Krieg war die Zeit angeblich zu knapp für Grundsatzdiskussionen. Jetzt wäre Zeit, aber die Auseinandersetzung wird weiterhin vermieden. Stattdessen wird über den drohenden Verlust von Arbeitsplätzen im Falle möglicher Standortschließungen geredet, über die politische Zukunft von Rudolf Scharping, und es wird die Frage erörtert, ob der Umbau der Bundeswehr mit dem Sparpaket von Finanzminister Eichel zu vereinbaren ist. Provinzialität ist oft sehr lustig. Gelegentlich aber wird sie bedrohlich. Das ist jetzt der Fall.

BETTINA GAUS