Europa hat mehr Geld als Zeit

21 Milliarden Euro für Entwicklungsprojekte gammeln wegen Schlamperei seit Jahren bei der EU. Kommissar Patten klagt nun: Personal fehlt, um auszuzahlen

BRÜSSEL taz ■ Nach vielen pompös klingenden Ankündigungen hat die EU-Kommission gestern erstmals konkrete Pläne vorgelegt, wie sie ihre Arbeit reformieren will. Es geht zunächst ausschließlich um den Bereich der Auslandshilfen und Entwicklungshilfeprogramme. Das sieht nach einem kleinen ersten Schritt aus, berührt aber tatsächlich den größten Batzen des Budgets, das von der Kommission eigenhändig verwaltet und ausgegeben wird: immerhin 62 Prozent.

Der Löwenanteil des Budgets – Agrarsubventionen und Regionalbeihilfen – wird nämlich von den Mitgliedsstaaten verteilt. Deshalb geht auch ein großer Teil der häufig kritisierten Misswirtschaft auf das Konto der Empfängerländer. Beim Thema Auslandshilfe aber muss sich die Kommission an die eigene Nase fassen. EU-Außenkommissar Chris Patten machte gemeinsam mit seinen Kollegen Verheugen (Erweiterung), Lamy (Außenhandel) und Nielson (Entwicklungshilfe) Kassensturz und kam zu einer schockierenden Bilanz: 21 Milliarden Euro an zugesagten, aber nicht abgerufenen Hilfsgeldern schleppt die Kommission seit Jahren mit.

Die Fachleute haben ausgerechnet, dass es knapp 9 Jahre dauern wird, bis allein die zugesagten Hilfsgelder für Mittelmeerprojekte aus dem Meda-Topf verteilt sind, wenn die Arbeit im bisherigen Tempo weitergeht. Die Länder Asiens müssen 7 Jahre, die Lateinamerikaner 6,5 Jahre warten – „wir haben einen schockierend schlechten Ruf, was unsere Zahlungsmoral angeht“, sagte Patten gestern.

Als Kern des Übel haben die Experten ein gewaltiges Missverhältnis zwischen zur Verfügung gestellten Finanzmitteln und Mitarbeitern ausgemacht, die Projekte begutachten, bewilligen und betreuen. Diese Erkenntnis ist nicht neu: Auch der vorige Kommissionschef Jacques Santer hat den Ministerräten bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit der gleichen Warnung in den Ohren gelegen: Sie könnten nicht bei jedem Gipfel neue Hilfsprogramme ersinnen und weitere Wohltaten verteilen, ohne die Leute einzustellen, die das Geld auch ordnungsgemäß verwalten.

Santers Warnungen blieben ungehört – am Ende musste er mit seiner gesamten Kommission zurücktreten, weil Missmanagement und Schlamperei zu offensichtlich geworden waren. Die neue Kommission ist entschlossen, nicht den gleichen Fehler zu machen. Sollte der Reformvorschlag zu strafferer Organisation, mehr Personal und dezentralisierter Projektbetreuung in den Empfängerländern kein Gehör finden, will Patten die Hilfsprogramme drastisch zurückfahren. Auf die Frage, welche Projekte er kürzen wollte, sagte er grinsend: „Diese Frage werde ich an die Außenminister weitergeben.“ DANIELA WEINGÄRTNER