Häuslebauer und Staatsfeind

Der eine, Anton Brenner, ist Weinbauer. Der andere, Harald Schwaderer, ist Privatlehrer. Beide waren einst Lehrer – und Mitglieder der DKP

aus Tübingen JENS RÜBSAM

Einer gibt Malkurse: „Mensch – Kopf – Gesicht“. Ob er damit zufrieden ist? Nein! Einer zapft Bier, in einer Kneipe, in der der Punk neben dem Steuerberater sitzt. Ob er sich eingerichtet hat? Er kann es nicht sagen. Einer hat umgeschult, zum EDV-Fachmann. Seine Strategie, vielleicht: Wenn schon nicht das Chaos im Leben beherrschen, dann wenigstens das Computer-Chaos. Einer hat etliche Therapien hinter sich, „um mit mir ins Reine zu kommen“, und lehrt Musik an einer Privatschule. Einer ist Weinbauer (Riesling, Gutedel, Spätburgunder) und streitet im Gemeinderat um Bustarife und Friedhofsgebühren – auf PDS-Mandat. Das ist in Baden-Württemberg, wo man nie so genau weiß, ob die Leute sonntags zum Herrgott oder zur CDU beten, fast ebenso ungehörig wie Hochdeutsch schwätze.

Der Verdacht: mangelnde Verfassungstreue

Der Künstler, der Wirt, der Computerspezialist, der Weinbauer, der Privatlehrer: alle einst in der DKP, alle Pädagogen, alle in Folge des Radikalenerlasses 1972 mit Berufsverbot belegt – alle noch heute auf der roten Liste des Stuttgarter Kultusministeriums. Verdacht: mangelnde Verfassungstreue. Status: Staatsfeind.

Längst wurden in anderen Bundesländern die „Kommunisten-Hatz“ der 70er- und 80er-Jahre und die „Angst vor der roten Flut in den Klassenzimmern“ als Irrtümer der Geschichte eingeräumt und vor die Tür gesetzte Lehrer auf Antrag wieder in den Schuldienst aufgenommen. Baden-württembergische und bayerische Staatsdiener dagegen pochen nach wie vor mit Verve auf die Akten aus den Zeiten des Kalten Krieges, Motto: Alles war, alles ist korrekt. Auch wenn die Schwaben-Union heute im Landtag eine Initiative von Grünen und SPD zur Rehabilitierung der Berufsverbotsopfer mittragen will, einen Knicks vor ihr zu machen, wäre verfrüht. Die Cleverle-Demokraten haben sich ein Hintertürchen offen gehalten: „nach Einzelfallprüfung“ lautet der Zusatz, den sie in die Beschlussvorlage der Opposition boxten. Was das heißt, lassen Worte der Kultusministerin erahnen. Annette Schavan, sich gern mit dem Mäntelchen der Liberalität schmückende CDU-Politikerin, erklärt: Man könne nicht einfach einen Menschen nach 22 Jahren ohne Unterrichtspraxis auf die Schüler loslassen.

Zu alt? Zu lange raus? Eventuell Schadensersatzansprüche und Konkurrentenklagen frustrierter Jung-Lehrer im Wartestand? Im Kultusministerium am Stuttgarter Schlossplatz hat man die Hausaufgaben für die Prognose-Gespräche mit den bislang fünf Bewerbern, die die Wiedereinstellung in den Schuldienst beantragt haben, fürstlich erledigt.

Auf die Tüchtigkeit der Schwaben ist seit jeher Verlass. Als 1975 erstmals eine Statistik über die Anwendung des Radikalenerlasses veröffentlicht wird, steht Baden-Württembergs Innenminister Karl Schiess, in linken Kreisen „Hakenkreuz-Kalle“ genannt, als bienchenfleißig da: Mit 69.500 Anfragen an den Verfassungsschutz, mit 487 Erkenntnissen, mit 50 Beamtenausbremsungen – die nach der Einwohnerzahl größeren Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen sind weit übertroffen. Ende 1985 ist im Ländle die Anzahl der Regelanfragen an den Verfassungsschutz auf rekordhalterische 256.000 explodiert (Bayern: 141.983). Und erst 1991 wird die Praxis, vor jeder Einstellung, bei jeder Bewerbung für den öffentlichen Dienst beim Verfassungsschutz nach Erkenntnissen zu fragen, auch in Stuttgart abgeschafft. In anderen Bundesländern ist zu diesem Zeitpunkt die Regelanfrage nur noch Anekdote.

SPDler wie der ehemalige Innenminister Frieder Birzele vermeiden bis heute den Begriff „Wiedergutmachung“: „Das würde nur die Chancen der Betroffenen minimieren, weil sich die Leute in den schwarzen Ministerien doch sagen: ‚Wir haben nichts wieder gutzumachen‘ “. Grüne wie die Landtagsabgeordnete Sabine Schlager sprechen von einem „Kalten Krieg in den Köpfen“. Noch immer. Und selbst Freunde der schwarzgelben Stuttgarter Koalition, wie der FDP-Parlamentarier Hagen Kluck, sagen: „In Baden-Württemberg ist die Kommunistenangst halt am größten“. Noch heute.

Angst vor Menschen wie den Tübingern Anton Brenner, 49, und Harald Schwaderer, 56 ? Beide Häuslebauer, was hier am Neckar für gewöhnlich schon ausreicht, um als „guter Schwoab“ zu gelten.

Am Stadtrand von Tübingen, am Fuße eines Weinbergs, da steht ein Häuschen wie hineinkomponiert in ein Bühnenbild: hier hinten die Rebstöcke, da unten das liebliche Städtchen am Neckar. Es ist heiß, und der Hausherr Anton Brenner, ein Kerl von kräftigem Schlag, erklärt die Lage. Die Lage ist voller Kälte, voller Ungerechtigkeiten, voller Missverständnisse. Er habe aber nie zu den verbohrten Mao-Kommunisten gehört. Er habe sich aber immer als ein antistalinistischer Eurokommunist im Sinne eines Enrico Berlinguer verstanden. Er habe aber heftig 1976 Kritik geübt an der Ausbürgerung Biermanns aus der DDR. Er sei aber immer ein kritischer Geist in den so moskauhörigen DKP-Reihen gewesen. Die Partei habe ihn aber auch mit Funktionsverbot abgestraft. Aber, aber, aber . . .

Die baden-württembergischen Behörden wollen kein „aber“ zur Kenntnis nehmen, und sie kennen erst recht kein „Pardon“. Das Parteibuch der nie verbotenen DKP ist 1978 Verfehlung genug, den Studienassessor Anton Brenner (Deutsch, katholische Theologie) nicht in den Schuldienst zu übernehmen, obendrein versagt ihm auch die Kirche die Missio canonica. Der Radikalenerlass ist den wahrhaften Demokraten in den sauberen deutschen Amtsstuben eine willkommene Gelegenheit, idealistische Leute, unruhig und unangepasst, vom Staatsdienst fernzuhalten. Wenn überhaupt den Geschassten eine Begründung für die Ablehnung zur Hand gegeben wird, dann ist es eine wie diese: Der Marxismus-Leninismus sei nicht lediglich eine Erkenntnistheorie, sondern eine Anleitung zum revolutionären Handeln.

Revolution? Brenner lacht, kippelt noch heftiger mit seinem Stuhl, dass man aufspringen möchte, um ihn festzuhalten. Aber Brenner ist keiner, der fällt. Anton Brenner ist einer, an dem man sich stoßen soll. Warum, bei aller Quergeistigkeit, ist er bis 1990 in der DKP geblieben? „Den Löffel hinzuschmeißen, das wollte der Staat doch nur erreichen.“ Anton Brenner ist keiner, dem man mit Niederlagen beikommt. Nicht mit der erlegenen DDR. „Mir war schon immer klar, dass die DDR dem Sozialismus mehr Schaden zufügt als die CDU.“ Auch nicht mit seinen Schlappen in deutschen Gerichtssälen. Erst als 1995 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall einer in Niedersachsen entlassenen Lebenszeitbeamtin entscheidet: Die Berufsverbotspraxis ist rechtswidrig, erst da ist für Anton Brenner endlich Recht gesprochen: Der Radikalenerlass verletzt die Menschenrechte, er ist verfassungswidrig. „Eine Einzelfallentscheidung“, redet der baden-württembergische Innenminister Schäuble (CDU) das Straßburger Urteil noch heute klein.

Zum Hauptportal rausgeflogen, zur Vordertür auch wieder rein

Kleinkriegen? Einen wie den Brenner? Dem die Kampfeslust aus den Augen blitzt? Der zwar nicht mehr für den Kommunismus à la DKP ficht, sondern nun für den Sozialismus à la PDS? Wohl ein Scherzle! Die Kultusministerin hat er auf ein Achterle eingeladen, „um die leidige Sache gütlich zu bereinigen“. Sein Schreiben mit Bitte auf Wiedereinstellung ist auf dem Weg. „Ich bin zum Hauptportal rausgeflogen“, sagt er, „nun möchte ich auch zur Vordertür wieder rein“.

Am anderen Stadtrand von Tübingen, im Ortsteil Lustnau, da steht ein Häuschen mit himmelblauen Fensterläden inmitten einer gediegenen Siedlung, so fehlplaziert wie eine Fichte im Laubwald. Der Hausherr Harald Schwaderer ist ein schüchterner Mann, als brav beschreiben ihn die einen, als fast ängstlich die anderen. Kein Wunder, dass 1973 nach Bekanntwerden des Berufsverbotes für den Studienassessor Schwaderer (Musik und Deutsch) in Tübingen geraunt wird: „Was, der soll Kommunist sein?“

Für den alten Schwaderer ist das Wort „Kommunist“ heute so weit weg wie der Mond. Hört man ihn von der DKP reden und von der „klaren sozialistischen Theorie“, von der DDR und dem „historisch besseren System“, von einem Referat, in dem er den Einmarsch der Russen in die Tschechoslowakei rechtfertigt, und von einer flammenden Rede, die er auf einer Demo hielt; hört man also Harald Schwaderer eine Weile zu, bemerkt man, dass er von Unappetitlichem spricht.

Dabei ist Harald Schwaderer in den 70er-Jahren im Westen der Republik so etwas wie der Akkordarbeiter Adolf Hennecke im Osten: ein Vorzeigemensch. Einer, der von der DKP als Agitprop-Anschauungsmaterial herumgereicht wird im Lande. Dem Tausende ihre Solidarität durch Unterschrift bekunden. Der Lieder gegen die Willkür schreibt: „Seht die Feinde der Demokratie / zimperlich waren sie nie / Wenn ihre Herrschaft ist bedroht / dann greifen sie zum Berufsverbot.“ Für den im Mai 1975 bei den Kommunalwahlen 4.456 Tübinger ihre Stimme abgeben. „Ich habe“, sagt Harald Schwaderer, „eine Berufsopferkarriere gemacht. Ich habe die sogar richtig genossen. Ich wollte die innerparteilichen Demokratiedefizite nicht sehen. Ich war ja schon vom Staat verstoßen, da wollte ich nicht auch noch von der Partei verstoßen werden.“ Das klingt nach starker Eitelkeit und nicht nach jener hübschen Bescheidenheit, wie sie viele DKPler immer zur Schau stellten. Das klingt nach tiefer Traurigkeit und nach der bitteren Erkenntnis, missbraucht worden zu sein – für den Klassenkampf der Kommunisten, die die Berufsverbote im Westen anprangern und gegen sie marschieren und die politische Verfolgung in der DDR verschweigen oder entschuldigen.

Austritt aus der DKP 1986, Intermezzo bei der Alternativen Liste, Rückzug aus der Politik, eine gescheiterte Ehe, mehrere Therapien, Musiklehrer, privat versteht sich, ein Häusle sanieren, sich mächtig verschulden, nun die Wiederbewerbung in den staatlichen Schuldienst. „Wir waren die Feinde der Gesellschaft, wir wurden kriminalisiert, die Gegenseite versuchte, uns abzustempeln.“ Es scheint, die Hoffnung, ins Normalleben zurückkehren zu können, liegt für Harald Schwaderer noch ein Stückchen weiter als der Mond.

Der Künstler wird weiter Malkurse geben. Er ist 57 und zu lange raus aus der Schule. Der Wirt wird weiter ausschenken. Er ist 52 und zu fern jedweden Unterrichts. Der EDV-Fachmann, 56, will einen Antrag stellen. Der Weinbauer Anton Brenner und der Privatlehrer Harald Schwaderer? Ihre Ersuche liegen dem Kultusministerium bereits vor. Am elften September beginnt in Baden-Württemberg das neue Schuljahr.