Göttliche Trunkenbolde

■ Die Bremer Shakespeare Company und die indisch-französische „Annette Leday Dance Company“ führten gemeinsam Shakespeares „Der Sturm“ auf

Ein Bild auf der Bühne muss nicht immer ein Bühnenbild sein. Das Bild, welches während der Premiere der „Sturm“-Inszenierung durch die Bremer Shakespeare Company im Theater am Leibnizplatz verfertigt wurde, war zwar wunderschön. Ein „Kalam“, ein kreisförmiges Gemälde mit einem Durchmesser von gut drei Metern lag da auf dem Boden am Bühnenrand. Ansonsten aber war der Theaterraum leer. Nicht eine Palme, nicht eine Kokosnuss für die Komödie über eine Südseeinsel.

Für die Kargheit gab es einen Grund: Neben den Gästen aus Indien hätte wohl jedes künstliche Bühnenbild lächerlich gewirkt. Die Tänzer des Ensembles „Annette Leday Dance Company“ belebten die Bühne von Beginn an schon allein durch ihre farbigen Kostüme. Mit langsamen Tanzschritten zu orientalischen Sphärenklängen bewegten sich die Märchenwesen auf der Bühne und leiteten so den Auftritt des verbannten Herzogs Prospero (dargestellt von Erik Roßbander) ein. „Herbei mein Ariel!“ rief er seinen Luftgeist, und ein kleiner Tänzer in rotem Kleidchen (Sadanam Bhassi) sprang eiligst zu ihm. „Hast du den Sturm so entfacht, wie ich dich anwies?“

Die Antwort ließ lange auf sich warten. Der kleine Geist führte erst einmal einen wilden Tanz auf. Doch Prospero gab sich damit zufrieden. Er verstand offenbar Ariels Tanzsprache. Von nun an war jedem Zuschauer klar, dass er heute abend wohl seine eigene Vorstellungskraft aktivieren müsse, um den weiteren Handlungsverlauf zu verstehen. So bestand die Fiktion einer Südseeinsel lediglich in Möwengeschrei. Und der Schiffbruch des Königs von Neapel mit seinem Gefolge erschöpfte sich visuell in wellenförmigen Bewegungen der Tänzer.

Regisseur Pit Holzwarth hatte sich also für eine sehr übersinnliche Version des Dramas entschieden, was zweifellos eine gute Entscheidung war. Zum einen, weil so die Integration der schweigenden Tänzer problemlos gelingen konnte, zum anderen, da es im Sturm von metaphysischen Andeutungen ohnehin nur so wimmelt. Da erblickt die Prospero-Tochter Miranda (Susanne Höhne) im schiffbrüchigen Ferdinand (Peter Lüchinger) zum ersten Male in ihrem Leben einen jungen Mann und fragt ihn gleich: „Kommt Ihr vom Himmel? Seid Ihr ein Gott?“ Für einen solchen wird auch der angeschwemmte Trunkenbold Stephano (Christian Dieterle) von dem Wilden Caliban (Robert Brandt) gehalten; schließlich hat er doch dieses göttlich-berauschende Getränk mitgebracht. Das daraus resultierende Verhältnis zwischen den beiden ungleichen Figuren stellt den einzigen Handlungsstrang dar, auf den sich das Komödienhafte beschränkt.

Dafür aber gewinnt die Inszenierung durch feinfühlige Interpretationen an Tiefe. Erik Roßbander lässt bei Prospero sowohl die Verbitterung, als auch den Selbstzwang zur Vernunft deutlich werden: Eine faszinierende, vielschichtige Mischung aus Altersweisheit und verletzter Ehre. Der an Prosperos einstiger Verbannung beteiligte und nun durch den Sturm gleichfalls an die Insel gespülte Gegenspieler König Alonso ist da schon einfacheren Gemüts. Als er erkennen muss, dass er für sein Vergehen nun bestraft wird, der Thron weit entfernt ist und die lächerliche Krone ständig vom Haupt fällt, offenbart er sich als seelisches Wrack: ein Schuldbeladener, der einer solchen Situation nicht gewachsen ist. Peter Lüchinger lässt in seiner beeindruckenden Interpretation den großen König wieder zu einem kleinen, jammernden Kind werden.

Nicht zuletzt wegen diesen darstellerischen Leistungen, die angesichts des spärlichen Bühnenmaterials auch gefordert waren, wurde die Premiere zu einem Erfolg. Ein fantasievoller, exotischer, gelungener Abend war es, den die Bremer Shakespeare Company präsentierte. Auch ohne Palmen.

Johannes Bruggaier

Weitere Aufführungen: 27. Mai, 11., 15. und 16., Juni um 19.30 Uhr. Karten und Infos unter Tel.: 500 333