Nichts zu feiern für Arsenal

Zum dritten Mal in dieser Saison verpasst das Londoner Team von Arsène Wenger einen Cup im Elfmeterschießen, diesmal den Uefa-Pokal im Endspiel gegen Galatasaray Istanbul
aus KopenhagenRONALD RENG

Eine halbe Stunde nach dem Schlusspfiff begegneten sich die Trainer beider Finalisten noch einmal zufällig in den Katakomben des Parken-Stadions. Fatih Terim reichte Arsène Wenger die rechte Hand, und mit der linken hielt er die goldene, vor seiner Brust baumelnde Medaille fest – als hätte er Angst, Wenger würde sie ihm wegnehmen.

Doch der Elsässer Wenger wollte noch nicht einmal hinschauen auf die Medaille. Ein kurzer Blick in die Augen, ein fester Händedruck, und sie gingen in verschiedene Richtungen: Arsène Wenger in die Umkleidekabine, um sich mit seinem Team von Arsenal London dort frustriert bis ein Uhr in der Nacht zu verschanzen. Fatih Terim auf das Podest in der Pressekonferenz, um zu sagen, was für ein außergewöhnlicher Tag dies für die Türkei sei. Gesagt werden musste das allerdings niemandem mehr. Es war nicht zu übersehen.

Durch das 4:1 im Elfmeterschießen über Arsenal nach einem 0:0 im Spiel gewann Galatasaray Istanbul den Uefa-Cup. Es war der erste Europapokalgewinn für einen türkischen Verein – und eine Nation, die sich nicht nur geografisch an Europas Rand gedrängt fühlt. Die zirka 20.000 türkischen Fans unter den 39.000 Zuschauern waren fest entschlossen, diesen Augenblick im Mittelpunkt des Kontinents exzessiv zu genießen. In Kopenhagens Innenstadt hatten sich türkische und englische Fans den ganzen Tag Straßenkämpfe geliefert, aber hier im Stadion war es im positiven Sinne eine Höllenparty, „a hell of a party“, wie die Engländer sagen würden – wenn sie was zu feiern gehabt hätten. „Wir haben den Cup verloren, nicht das Spiel“, sagte Wenger.

Bezwungen nur im Elfmeterschießen, wo Stürmer Davor Suker den Pfosten und Mittelfeldantreiber Patrick Vieira die Latte trafen. Somit war Arsenals einmaliger Hattrick komplett: In allen drei Pokalwettbewerben scheiterten sie diese Saison im Elfmeterschießen, zuvor schon an Leicester im englischen FA-Cup und Middlesbrough im Liga-Pokal. „Langsam macht es mich fertig“, sagte Wenger. Tatsächlich hatte sein Team jedoch schon während des Spiels begonnen, den Pokal zu verlieren. Der englische Meisterschaftszweite, der so fantastischen Fußball spielen kann, fand in der extrem intensiven Partie nie seinen Rhythmus. Von Dennis Bergkamp, weltweit einer der besten Offensivspieler, waren zwei, drei wunderbare Aktionen zu sehen; es waren viel zu wenig.

Bergkamp – das war das Stichwort für Galatasarays Trainer. „Meine fünf Ausländer kosten zusammen so viel wie ein Bergkamp – nein, mach das: wie ein Vieira. Bergkamp ist zu teuer“, sagte Terim. „Finanziell sind wir gar nichts, organisatorisch sind wir gar nichts – aber heute war nicht das Budget der Faktor, der den Sieg ausmachte, sondern der Ehrgeiz.“ Das war stolz gemeint und auch richtig, denn Galatasaray spielte mit einem großen Willen und absoluter Konzentration; ein 26-Jähriger aus Mannheim war das beste Beispiel, Mittelfeldspieler Davala Ümit. Doch Terims positiv gemeinte Worte sagten auch alles Negative über Galatasaray: Der Schuldenstand wird mit 25 Millionen Dollar angegeben, die Spieler haben seit einem halben Jahr ihre Grundgehälter nicht ausbezahlt bekommen, Anfang der Saison streckte der Trainer, der die türkische Nationalelf 1996 zur EM und danach Galatasaray zu vier türkischen Meisterschaften in Folge führte, sein eigenes Geld vor, um die Spieler zu bezahlen. „Dieser Erfolg ist unsere Chance, mehr Geld, mehr ausländische Stars, mehr Erfolg zu bekommen“, sagte Terim. „Aber es muss etwas passieren, sonst kommen wir alle hundert Jahre einmal ins Finale, wie jetzt.“

Das kann durchaus als Drohung verstanden werden. Terims Vertrag läuft im Juni aus. „Seit drei Monaten versucht er mir zu sagen: Ich gehe“, sagte Sportdirektor Mete Razlikli dem Zürcher Tages-Anzeiger, „und ebenso lange versuche ich ihn zu überzeugen: Du musst bleiben.“ Es ist gut möglich, dass es nie mehr so schön wird wie an diesem Mittwoch. Die Mannschaft, die auf dem Weg ins Finale mit AC Mailand, Bologna, Dortmund, Mallorca und Leeds fünf Qualitätsteams ausschaltete, ist an ihrem Limit. Gheorge Hagi, der kleine, große rumänische Stratege im Mittelfeld, faszinierte in Kopenhagen noch einmal, ehe er in der Verlängerung für einen Faustschlag gegen Arsenals Tony Adams die rote Karte sah, aber mit 35 will er aufhören. Der Vertrag des brasilianischen Torwarts Claudio Taffarel, der den Sieg in der Verlängerung festhielt, läuft aus und wurde wegen der Finanzprobleme noch nicht erneuert.

Die Zukunft ist ungewiss, doch hier war die Zeit, die Gegenwart zu genießen. Taffarel hörte gar nicht mehr auf zu lächeln. Was sollte er auch anderes tun? Er kann nach eigenen Angaben nur zwei Wörter Türkisch. Sie genügten allerdings, um die Mittwochnacht aus türkischer Sicht zu beschreiben: Çok güzel. Zu deutsch: Sehr gut.

Arsenal London: Seaman – Dixon, Keown, Adams, Silvinho – Parlour, Vieira, Petit, Overmars (115. Suker) – Bergkamp (75. Kanu), Henry Galatasaray Istanbul: Taffarel – Bülent, Popescu, Capone, Ergün – Ümit, Okan (84. Hakan Ünsal), Suat (95. Ahmet), Hagi – Arif (95. Hasan), Hakan Sükür Zuschauer: 39.000; rote Karte: Hagi wegen Tätlichkeit (93.)

Zitat:

Galatasaray-Coach Fatih Terim: „Heute war nicht das Budget der Faktor, der den Sieg ausmachte, sondern der Ehrgeiz.“