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: Wir über uns

In der taz arbeiten zu wenig Behinderte. Weniger jedenfalls, als das Gesetz vorschreibt. Darauf wurde heute in der Redaktionskonferenz hingewiesen. Dieses Vergehen wiegt umso schwerer, als gestern eine taz-Schwerpunkt-Seite erschien, in welcher die Nachlässigkeit vieler Unternehmen bei der Einstellung Behinderter angeprangert wurde. Dass auch wir selbst an den Pranger gehörten, haben wir unterschlagen. Eine böswillige Täuschung der Öffentlichkeit?

Mit umso größerer Erleichterung verfolgt diese Redaktion, welche Schwierigkeiten eine fast ebenso renommierte, allerdings süddeutsche Redaktion derzeit mit der Erkenntnis hat, die Öffentlichkeit getäuscht zu haben. Der Star-Autor des SZ-Magazins, Tom Kummer, soll Interviews mit Hollywood-Prominenten besondere Einmaligkeit verliehen haben, indem er sie sich ausdachte. Drei Tage nach Bekanntwerden des Betrugs berichtete gestern auch die SZ über ihre Magazin-Tochter.

Feuilletonistisch gibt sich die SZ-Medienberichterstattung gern, aber so kulturvoll wie auf der Viertelseite aus der Feder von Ressortleiter Alexander Gorkow war sie selten. „Über Tom Kummer und die Produktion von Realität“ schreibt die SZ und bietet eine Rezension ihrer Selbstzerfleischung. Diesmal sind die Sorgfaltsregeln penibel beachtet: Alle Schuldigen kommen zu Wort, von SZ-Magazin-Chef Kämmerling („Anschläge auf das Ethos des Journalismus verhindern“) bis hin zu Kummer („Verbindung zur realen Welt abhanden gekommen“). Doppelt reizvoll lesen sich Kilz’ Zitate. Nicht nur ist er Chef des Autors, der ihn zitiert, sondern dem redaktionall unabhängigen Magazin wegen dessen taz-hafter Flippigkeit seit langem in herzlicher Ambivalenz verbunden. Kulturvolle Leser könnten darob auf die Idee kommen, ihre literaturkritischen Fähigkeiten gewinnbringend einzusetzen. Da würden sie dann schnell textimmanente Machtstrukturen bloßlegen können – und etwa in der Mahnung des großen SZ-Chefs an den kleinen Magazin-Chef eine formal gar nicht zulässige Dienstanweisung erblicken: Kilz, heißt es dort, „zieht das Fazit: ‚Die Chefredaktion des SZ-Magazins muss und wird Vorkehrungen treffen, die derart unverzeihliche Pannen künftig ausschließen.‘“

So ahnt der Leser, dass der Autor sich für seinen Artikel wie die legendären SZ-Kriegsreporter durch einen Dschungel voller Fallen bewegen musste. Wie einst bei den Kriegsberichten in Vietnam drohen beim Schreiben über Konflikte im eigenen Haus überall boobytraps hochzugehen.

Rettung bringt auch diesmal das Geheimnis der SZ. Nicht nur bei der Recherche, vor allem beim Schreiben beherzigen ihre Autoren das Prinzip: Immer feste durchs Dickicht, aber ohne einen Halm zu krümmen. Ihr Ruf der Brillanz fußt darauf, auch bei heikelsten Themen scheinbar Unvereinbares zu vereinen: radikal ehrlich zu berichten – und trotzdem niemanden zu verletzen. „Der Fall Kummer ist (...) mehr als beschämend“, heißt es dann gestern auch, „er wirft außerdem grundsätzliche Fragen zum Umgang mit freien Mitarbeitern auf“. Zum alleinigen Schuldigen kürt die Medienseite aber selbst Tom Kummer nicht. Vielleicht, weil es das absolut Böse im Leben seltener gibt als in den Medien.

PATIK SCHWARZ