Unter Wasser in der Wüste

Wenn Zuarbeiter sich in den Mittelpunkt rücken: Auf „Hot Rail“ finden Calexico dank im Genre ungewohnter Demut die Essenz von Americana zwischen Peckinpah und Tourismus

Ein Hauch von Ironie durchweht diese Musik. So wie der Wüstenwind die blätterlosen Büsche durch die Grenzstadt eines Spagettiwesterns weht

von THOMAS WINKLER

Ein vorsichtiger Hauch von Ironie durchweht die Musik von Calexico. So wie der Wüstenwind die losen, blätterlosen Büsche durch die ausgestorbene Grenzstadt eines Spagettiwesterns weht. Die Musik scheint den Moment zu bebildern, in dem Wahrheit zum Klischee verkommt. Und fast im selben Atemzug wieder Wahrheit wird. Weil jemand mit neuen Augen das alte Bild erblickt.

Wann aber exakt ist das Klischee zum Klischee erstarrt? „Zu Hause in Tucson in unserer Videothek“, erzählt Joey Burns, die eine Hälfte von Calexico, „stehen die Spagettiwestern alle unter Western.“ Von Tucson, Arizona, aus fährt man aber auch nur eine halbe Stunde mit dem Auto bis in die Mojave-Wüste.

Ungefähr zehn Flugstunden entfernt wird der Blick immer ein touristischer bleiben. So beginnt „Hot Rail“, die neue Platte von Calexico, zwar auch von Berlin, Deutschland, aus betrachtet mit Mariachi-Klängen. Aber vielleicht doch eher mit der Imitation einer Mariachi-Kapelle, denn die Grundstimmung ist melancholischer, als es eigentlich von Musik zu erwarten wäre, die sonst für die gute Stimmung auf Festivitäten zuständig ist. Einen Song später sind Calexico volksmusiktechnisch gesehen auf der nördlichen Seite der Grenze angekommen: „I live out there where the snakes and scorpions run“, singt Burns in seiner „Ballad of Cable Hogue“, die er geschrieben hatte, bevor er zum ersten Mal den gleichnamigen Spätwestern von Sam Peckinpah gesehen hatte. Wenig später setzt eine rauchige Frauenstimme ein und singt mitten in einem straighten Country-Song Französisch. Wo befindet sich hier wer? Immer scheint es wenigstens zwei Seiten in der Musik von Calexico zu geben, mindestens zwei Türen, sie zu betreten, und keine ist jemals verschlossen.

Joey Burns (Bass, Gitarre, Cello, Akkordeon, Orgel, Gesang u.a.) nennt das „Balance“, was er zusammen mit seinem Partner John Convertino (Schlagzeug, Vibraphon, Orgel, Marimbas, Akkordeon, Perkussion) erschafft im alten Barrio von Tucson, das mittlerweile zum Künstlerviertel der Stadt geworden ist. Vielleicht ist es diese Balance, die Joey und John zu den Lieblingen der Saison werden lässt. Seit langer Zeit schon nicht mehr wurde eine Americana-Platte so einheitlich begrüßt. Der kleinste gemeinsame Nenner ist „Hot Rail“ trotzdem nie. In den großen, ausladenden Bögen, die sie beschreibt, ist sie vor allem eins: berückend schön. Jenseits dieser Schönheit wird aber auch wieder die Geschichte Arizonas geschrieben, wie das ja auch bereits der Vorgänger „Black Light“ tat. Jedenfalls von Tucson, Arizona, aus betrachtet, jedenfalls, wenn Joey Burns darüber redet. Hier meldet sich dann doch einmal der sonst vergleichsweise stille Kollege zu Wort. „Wir nehmen uns das Spielen mit Klischees auf keinen Fall ausdrücklich vor“, sagt Convertino, „oft weiß man selber nicht, was man gemacht hat, bevor man anfängt darüber zu reden.“

Darin liegt wohl das Geheimnis. Weil es natürlich geschieht, sucht man vergeblich nach den Brüchen in diesem Schweben, finden sich die Knackpunkte, die es geben muss, nicht unbedingt in der Textur der Musik. „Tatsächlich beginnen wir mit dieser Platte, eigene Reisen zu veranstalten, und wir liefern den Soundtrack dazu“, erzählt Burns grinsend, „wir verkaufen dir zwei Songs und vermieten dir das Auto, wir haben auch Cabriolets im Angebot.“ Die Musik aber lächelt nur mitleidig und sanft und fließt weiter wie selbstverständlich dahin, ruht in sich selbst: „It's just a matter of time, before we’re moving on“, singt Burns.

Die Musik so sich selber geschehen lassen, dazu gehört eine Bescheidenheit, wie man sie im Genre sonst nicht kennt. Normalerweise ist Americana bevölkert von Egomanen, die um den eigenen Bauchnabel kreisen, Singer/Songwritern eben. „Die Musik kommt durch einen“, sagt Burns, „man entscheidet zwar, wie sie herauskommt, aber als Komponist ist man nur der Kanal.“

Diese Unterwürfigkeit ist begründet im Tagesjob von Burns und Convertino. Ihr Geld verdienen sie vorzugsweise als Rhythmusgruppe von Giant Sand, dem Projekt der Wüstenrock-Legende Howie Gelb. „Man hört mehr zu, man ist weniger Diktator“, sagt Burns über seine Aufgabe als Zuarbeiter.

Die Demut, sich selbst nur als Medium zu verstehen, durch das die Musik in die Welt kommt, kennt man allerdings eher aus der elektronischen Musik. Nicht überraschend haben Calexico zwar nicht auf „Hot Rail“, aber doch immer wieder mit elektronischer Klangerzeugung experimentiert, mit Samplern gearbeitet, sich auch schon selbst geloopt und Remixe in Auftrag gegeben. Calexico schaffen den Spagat so selbstverständlich, wie Burns eben noch über die technischen Spielereien von jamaikanischem Dub plaudern kann und im nächsten Moment genauso begeistert von der beeindruckenden Sammlung akustischer Gitarren seines Kollegen Richard Buckner erzählt.

Trotzdem: Auch wenn sich die beiden davon nicht leiten lassen, ihre Musik beschwört die üblichen Bilder aus Route-66-Fotobänden, Rodrigo-Rodriguez-Filmen und Schnappschüssen aus dem Mietwagen heraus. Und den Weg in die Wüste finden auch Burns und Convertino immer wieder. „Dort gibt es nur dich, die Sonne und die Erde. Man ist zurückgeworfen auf das Grundsätzliche, auch durch die völlige Abwesenheit von Wasser“, erzählt Burns. „Andererseits habe ich in der Wüste manchmal das Gefühl, als würde ich mich unter Wasser befinden. Auch die Pflanzen in der Wüste sehen wie Unterwasserpflanzen aus, so geduckt“, sagt Convertino.

So wird auch bei Calexico die Wüste schlussendlich zur Kathedrale. Aber es ist eben ein Unterschied, ob man in der Kirche wohnt oder sie nur aus Erzählungen kennt. „Richtig nervös kann es einen machen“, warnt Convertino den Touristen, „wenn plötzlich ein Skorpion über deinen Stiefel krabbelt.“

Calexico: „Hot Rail“ (City Slang/ EFA) Tour: 19. 5. Frankfurt, 25. 5. Köln, 29. 6. Hamburg, 30. 6. Hildesheim, 3. 7. Nürnberg, 4. 7. Heidelberg, 5. 7. Kassel