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Der Text wird wieder Party

Wegweisende Neuanfänge: Mit Tom Stromberg und Elisabeth Schweeger übernehmen zwei Avantgardeproduzenten die Leitung an den Schauspielhäusern in Hamburg und Frankfurt

von JÜRGEN BERGER

Bisher standen sie für Experimentierräume neben dem klassischen Stadt- und Staatstheaterbetrieb. Während Tom Strombergs Zeit am Frankfurter Theater am Turm (TAT) und Elisabeth Schweegers Leitung des Münchner Marstalls wurde „Crossover“ zum festen Begriff für Theaterprojekte, die mit klassikbasiertem Schauspiel reichlich wenig zu tun haben. Sie initiierten Projekte, die die Grenzen der Genres sprengten, holten Künstler ins Theater, die dort nicht unbedingt etwas verloren hatten, gaben der freien Szene ein Podium und verabreichten dem deutschen Theaterbetrieb mit internationalen Koproduktionen subkutane Vitaminspritzen. Das war ihr Markenzeichen. Demnächst allerdings übernehmen sie Verantwortung für Schauspielhäuser und müssen den Beweis antreten, dass ihre Art der Theaterarbeit auch in traditionell unbeweglichen Häusern funktioniert.

Dabei sind ihre Ausgangspositionen unterschiedlich. Tom Stromberg startet im September am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, das unter der Leitung von Frank Baumbauer sowohl künstlerisch als auch organisatorisch renoviert wurde. Elisabeth Schweeger übernimmt ab Herbst nächsten Jahres das Frankfurter Schauspielhaus, muss es aus dem künstlerischen Abseits führen und bekommt es mit einem starren und ineffektiven Apparat zu tun. Sowohl in Frankfurt als auch in Hamburg wird es mit unterschiedlicher Dringlichkeit also auch darum gehen, ob eine Flexibilisierung und Verschlankung schwerfälliger Theatertanker in die Wege geleitet werden kann. Und das, obwohl Stromberg, 40, und Schweeger, 45, nach ihrer Berufung zuerst einmal mit der misstrauischen Frage konfrontiert wurden, ob Theatermenschen mit derartigen Crossover-Biografien überhaupt ein herkömmliches Ensembletheater leiten können, oder ob sie nicht als Terminatoren des viel gepriesenen deutschen Ensemblesystems antreten werden.

Beide betonen allerdings, dass ihre Schauspieler weiterhin im Ensembleverbund arbeiten sollen. Das Neue wird also eher in Form von choreografierten Bühnenessays und nicht textbasierten Inszenierungen kommen – Theaterformen, die Schweeger und Stromberg in Deutschland gesellschaftsfähig gemacht haben. Ironie der Geschichte: Die Avantgardeproduzenten übernehmen die Schauspielhäuser zu einem Zeitpunkt, da ihre Experimente in den Fundus des etablierten Theaters übergehen, sie selbst aber zu neuen Ufern aufbrechen. „Durch die intensive Beschäftigung mit den Medien und virtuellen Welten erkennt man“, so Schweeger, „dass das Wort und die Schrift wieder stärkere Bedeutung erhalten.“ Sowohl bei ihr als auch bei Stromberg, der am Hamburger Schauspielhaus ein kleine Garde von Hausautoren beschäftigen wird, dürften Texte also wieder eine größere Rolle spielen. Die weitaus spannendere Frage aber wird sein, was mit den Theaterbetrieben und ihren eingefahrenen Technik- und Verwaltungsstrukturen geschieht, wenn sie auf Theatermenschen treffen, die auf Grund ihrer Sozialisation in der europäischen Avantgardeszene kleine Teams und schnelle Abläufe gewohnt sind.

Tom Stromberg will den Komponisten und Textsampler Heiner Goebbels auf der großen Bühne inszenieren lassen, Elisabeth Schweeger will William Kentridge von der südafrikanischen Handspring Puppet Company und den Filmregisseur Peter Greenaway gewinnen. Zuvor muss sie allerdings erst einmal Licht in die finanzielle Situation ihres neuen Hauses bringen.

„Im Frankfurter Schauspiel verschlingen die zentralen Dienste plus Technik und Verwaltung mehr als 21 Millionen Mark jährlich, so dass es künstlerisch völlig ausgehungert ist. Nur zum Vergleich: Am Münchner Residenztheater zahlen wir für den gleichen Bereich bei besserer Ausstattung – in München haben wir 55 Techniker, in Frankfurt nur 28 – lediglich 17 Millionen“, sagt Schweeger und spricht damit ein Problem an, das auch anderen deutschen Stadttheatern nicht unbekannt ist. Aufgeblähte bürokratische und technische Apparate sind zu Kunstverhinderungsinstrumenten geworden.

Stromberg etwa argumentiert entschieden für kleine, auf einzelne Inszenierungen konzentrierte Produktionsteams. Dass viele Theater im eigenen Verwaltungsfett zu ersticken drohen, liegt für ihn daran, dass man immer nur den „Supergau“ im Kopf habe. „Man will immer für den Tag gerüstet sein, an dem Shakespeare im Großen und Tschechow im Kleinen Haus gespielt wird, während zwei Produktionen auf Gastspielreise und die Probenbühnen voll sind. Ich finde, man sollte eher den normalen Theaterbetrieb im Auge haben und sich bei Engpässen Aushilfen suchen. Da hat sich inzwischen ja viel verändert und gibt es eine große Zahl freier Anbieter, bei denen man notwendiges Equipment und Personal mieten kann.“

Stromberg argumentiert, sowohl die technischen als auch die Verwaltungskosten müssten den einzelnen Inszenierungen direkt zugeordnet werden. Am Deutschen Schauspielhaus wollen er und sein Geschäftsführer Peter Raddatz die tatsächlichen Kosten einzelner Produktionen transparent machen, damit die Front Technik/Verwaltung contra Kunst fällt. Transparenz, so Elisabeth Schweeger, fehle in den großen Theaterbetrieben tatsächlich, sei aber schwierig herzustellen. „Der Witz besteht darin, dass man in den letzten Jahren mittels Zentralisierung der technischen und administrativen Bereiche gehofft hat, Transparenz herzustellen und kostengünstiger zu arbeiten. Genau das Gegenteil allerdings ist oft eingetreten, weil der administrative Aufwand noch einmal erhöht wurde.“ Die neue Frankfurter Schauspielintendantin will daher vor allem die Entfremdung zwischen Künstler und Produktionsprozess wieder aufheben. Vordringlich ist für sie, dass alle vom Schauspieler bis zum Techniker von vornherein an einem Tisch sitzen und an einem Strang ziehen.

Ob beide die Strukturen der ihnen anvertrauten Häuser verändern können, ist nicht nur für Frankfurt und Hamburg von Bedeutung, wie ein Blick auf das konzeptionslose Gestochere der Berliner Kulturpolitik zeigt. Dort hat die Unfähigkeit einer Ausbalancierung der Opern- und Theaterlandschaft hauptsächlich mit grauen Sparkommissaren zu tun, die längst fällige Reformen in Häusern verhindern, in denen Pfründenverwalter häufiger um Finanzen feilschen, als dass sie strukturell etwas bewegen wollen. In jüngster Zeit allerdings zeigen Beispiele wie Basel und Luzern, dass kulturpolitische Nullsummenspiele durchaus überwunden werden können: In Basel steuert Michael Schindhelm seit einigen Spielzeiten einen gewagten Erfolgskurs, in Luzern ist Barbara Mundel gerade dabei, ein völlig verschlafenes Stadttheater radikal umzukrempeln. Die Bewegungsenergie kommt in beiden Fällen aus dem Bauch der Maschine – still und leise, abseits aufgeregter Ämterrochaden.

Das kann man im Moment überraschenderweise auch in Heidelberg beobachten. Dort startet zur nächsten Spielzeit Günther Beelitz neu, und man konnte den Verdacht hegen, da peile einer der altgedienten Intendanten einen idyllischen Altersruhesitz an. Erste Maßnahmen zeigen allerdings, dass er Ernst macht und zum Zwecke größerer Spielplanvariabilität die Urlaubsregelung des Theaters ändert. Künftig gibt es keine lange Sommerpause mehr, dafür aber Urlaub in der Sauregurkenzeit nach Weihnachten. Eine kleine Revolution innerhalb eines verbeamteten Stadttheaters.

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