Serbien steht vor entscheidendem Machtkampf

Die vereinte Opposition ruft die Bürger auf, das Land zu blockieren. Sollte das gelingen, dann wird es eng für Slobodan Milosevic

BERLIN taz ■ Die serbischen Oppositionsführer haben es über die Lippen gebracht: Sie rufen ihre Landsleute zum zivilen Ungehorsam auf. Straßen sollen blockiert, die Arbeit eingestellt, Protestmärsche organisiert werden. Nur so könne man die wenigen noch übrig gebliebenen unabhängigen Medien verteidigen, heißt es in einem am Mittwochabend verbreiteten Aufruf der vereinigten Opposition. Mit der ganzen Energie der demokratischen Kräfte müsse man sich der „offenen Diktatur“ des serbischen Regimes widersetzen.

Gestern Abend sollten in rund fünfzig serbischen Städten, die von der Opposition verwaltet werden, Protestsitzungen der örtlichen Parlamente und danach Dauerdemonstrationen in ganz Serbien und der Hauptstadt Belgrad beginnen. Gefordert wird nicht nur die Wiederzulassung unabhängiger Medien, sondern auch vorzeitige „faire und demokratische Wahlen auf allen Ebenen“.

„Unsere Strategie ist es, den allgemeinen Protest so lange zu intensivieren, bis ganz Serbien blockiert wird“, erklärte der Vorsitzende der Demokratischen Partei (DS), Zoran Djindjić, gegenüber der noch nicht verbotenen unabhängigen Belgrader Tageszeitung Danas. Doch er fürchte, das Regime könne demnächst öffentliche Versammlungen verbieten und die Oppositionsführer verhaften.

Die Innenstadt Belgrads erinnerte Mittwochabend an ein Schlachtfeld. Der politische Wille der erbosten Bürger vermischte sich mit der Aggressivität von Fußballfans, die sich dem Protest anschlossen. Müllcontainer wurden zu Barrikaden umfunktioniert, ihr Inhalt angezündet. Der stinkende Rauch vermischte sich mit Tränengas. Beunruhigte, frustrierte Beamte hieben mit ihren Knüppeln auf jedermann ein, der auf den nächtlichen Straßen unterwegs war. Das Ergebnis waren an die hundert Verletzte. Die Oppositionsführer konnten die Menschenmasse nicht aufhalten, die Demonstranten ließen sie alleine auf dem Balkon des Belgrader Stadtparlaments stehen.

„Das Regime hat inoffiziell den Ausnahmezustand ausgerufen und praktisch seinem eigenen Volk den Krieg erklärt“, meint Vladan Batić, Koordinator der „Allianz für den Wandel“. Batic bat Moskau um Hilfe, die von Präsident Slobodan Milošević „verteufelte und kriminalisierte“ Opposition in Schutz zu nehmen. Denn im total isolierten und aus internationalen Organisationen ausgeschlossenen Serbien habe nur noch die russische Regierung einigen Einfluss auf das Regime.

Die gleichgeschalteten staatlichen Medien setzten gestern ihre Kampagne gegen die Opposition unvermindert fort. Die Unruhen in Belgrad wurden als Ausschreitungen von Fußballfans und Hooligans dargestellt, die Oppositionsführer als „Handlanger der Nato“, „Verräter“ und „Spione“ denunziert. Die serbische Regierung habe „tapfer“ im Kampf gegen Terrorismus, Kriminalität und der Provokation eines Bürgerkriegs der „Medienaggression“ eine Ende gesetzt, schrieb die Tageszeitung Politika, den „neofaschistischen“ TV-Sender „Studio B“ übernommen und einige andere dem „Okkupator dienende“ Medien geschlossen.

Die nächsten Tage sind entscheidend für Serbien. Sollte es dem Regime gelingen, den oppositionellen Aufstand mit mäßigem Einsatz von Gewalt lahm zu legen und die Gleichschaltung der Medien abzuschließen, dann bleibt Milošević fest im Sattel. Sollte es der Opposition jedoch gelingen, die Bürger massiv auf die Straßen zu bringen und das Land zu blockieren, dann wäre das Regime zum ersten Mal ernsthaft bedroht.ANDREAS SCHWARZ