Wo Würmer ihren Job tun

Die ökologische Siedlung Braamwisch zeigt, wie es sich auf dem Stand der Technik umweltverträglich leben lässt  ■ Von Gernot Knödler

Das Beste ist das Klo. Ursel Beckmanns Trockentoilette ohne Anschluss an die Kanalisation. Ein Plumpsklo, das nicht stinkt, selbst bei offener Fäkaliengrube nicht. Es muss ein hartes Stück Arbeit gewesen sein, die anderen TeilnehmerInnen des Projekts Ökosiedlung davon zu überzeugen, dass der Verzicht auf den Sielanschluss eine dufte Lösung ist.

Aber der ganze „Wohnhof Braamwisch“ war ein hartes Stück Arbeit, erinnert sich Ursel Beckmann. Von der Terrasse ihres Öko-Hauses aus schaut die aschblonde Frau auf eine Wiese des Umwelt-Zentrums Karlshöhe. Drei Ziegen grasen dort, dahinter steht eine große Scheune und zur Linken ein Riegel aus fünf Reihenhäusern, der gerade fertig gestellt wird.

13 Jahre lang hat Ursel Beckmann zusammen mit wechselnden MitstreiterInnen geplant. Inspiriert hatten sie ökologische und soziale Projekte in Dänemark. „Dass die Leute in einem nachbarschaftlichen Verhältnis wohnen wollten“, fand sie toll, und sie machte sich auf, in Hamburg „die städtebauliche Möglichkeit zu schaffen, dass sowas passieren kann“.

In der Tat hätten sich viele Probleme ohne die Einbindung in eine ökologisch orientierte Siedlung wohl nicht so elegant lösen lassen. Zum Beispiel die Heizung: Die Häuser des eigentlichen ökologischen Wohnhofs, aber auch die der benachbarten Straßenzüge haben Sonnenkollektoren auf den Dächern. Das dort erhitzte Wasser strömt in einen großen Erdspeicher, der sich unweit von Ursel Beckmanns Terrasse unter einem Hügel verbirgt. In einem kleinen Heizhaus gibt das warme Wasser aus dem Speicher seine Wärme an einen Kreislauf ab, der wiederum die Häuser mit Nahwärme versorgt. Im Winter wird im Heizhaus mit Gas nachgefeuert. Das gesamte System gehört Hein Gas, die Siedlungsbewohner bezahlen für die gelieferte Heizwärme soviel wie für konventionelle Fernwärme.

Die Solarkollektoren ersetzen bei den Beckmanns größtenteils die Dachpfannen. Am unteren Rand des Dachs hat ihre Solarfirma Photovoltaik-Elemente angebracht. Sie erzeugen mehr Strom, als der Beckmannsche Zwei-Personen-Haushalt benötigt, allerdings steht ein Gasherd in der Küche.

„Das ganze Haus wird automatisch belüftet“, sagt Ursel Beckmann und wirft Kaffeesatz in einen Schacht links neben der Spüle. Der Biomüll landet direkt in der Klogrube, wo ihn die warme Luft aus dem Haus, die von Ventilatoren ständig in die Grube gesogen wird, verrotten lässt. „Unten übernehmen jetzt die Regenwürmer den Job“, sagt Beckmann zufrieden.

Weil auch der Kot in der Grube verrottet und nur das verbrauchte Wasser aus Dusche, Waschbecken und Waschmaschine im Abwasser landet, können die Beckmanns und ihre Nachbarn auf den Anschluss ans Siel verzichten. Dadurch und wegen des geringeren Wasserverbrauchs bringe das Trockenklo 3000 Mark Ersparnis im Jahr, hat Beckmann errechnet. Das übrige Abwasser versickert in einer Pflanzenkläranlage am Kopfende der Häuserzeile. Bei einem Nachbargebäude hat sie sich bereits vollständig zu einem Mini-Sumpfgebiet gemausert: Hinter einem Holzzaun steht dicht und grün das Schilf. Seine Wurzeln lockern den Kies und Sand auf, durch den das Wasser sickert, wobei Mikroorganismen die Schadstoffe abbauen.

Unweit der grünen Kläranlage liegt einer von mehreren Sammelparkplätzen, auf denen die BewohnerInnen der Siedlung ihre Wagen abstellen können – so sie welche besitzen. Auf diese Weise konnten Beckmann und ihre Mit-PlanerInnen auf die üblichen Stichstraßen zu den Reihenhäusern verzichten. Sie gewannen Platz für vier zusätzliche Reihenhäuslein, die Pflanzenkläranlagen und Gemeinschaftswiesen. Dabei haben es die Leute aus Braamwisch schwer mit Bussen und Bahnen. Die S-Bahn ist zu weit entfernt, um zu Fuß dorthin zu gehen. Und der 167er Bus fährt nicht einmal alle zehn Minuten. „Der Nahverkehr ist eine Katastrophe“, ärgert sich Beckmann, die sich mehr Unterstützung vom Senat wünscht.

„Ich kenne keine Siedlung, die so viele Öko-Einrichtungen versammelt wie diese hier“, sagt Ursel Beckmann stolz, „zumindest nicht in Norddeutschland.“ Jede Neubausiedlung müsse im Grunde so gebaut werden wie der Wohnhof Braamwisch. Finanzierbar sei das durchaus, meint Beckmann, und rechnet vor, ihr Haus habe bei 130 Quadratmetern Wohnfläche auf einem 300-Quadratmeter-Grundstück 540.000 Mark gekostet. Wenn man es in puncto Qualität und Ausbaustandard – etwa einer besonders guten, umweltfreundlichen Isolierung und Wärmeregulierung – mit herkömmlichen Häusern vergleiche, könne es mithalten. Vorausgesetzt, die Kosten für Kläranlage und Trockenklo würden abgezogen, aber die hätten sich in 10 Jahren amortisiert.

Und was für Ursel Beckmann noch dazukommt, ist das „schöne Gefühl, durch gebaute Umgebung ökologisch zu handeln, ohne dass man groß einen Aufstand macht“.