Fett weg

■ Zum Thema Körperkult ist dem Leiter des Bremer Tanztheaters, Urs Dietrich, und seinem Ensemble viel eingefallen: „Versus“, ein Stück mitten aus dem Leben mit viel Witz und noch mehr Stolperfallen

Waschbrettbäuche sind erotischer als Waschbärbäuche. Das hat bekanntlich eine Umfrage der Zeitschrift „Men's Health“ ergeben. Aber Waschbrettbäuche machen auch eine Schweinearbeit. „Auf den Rücken legen. Kopf und Beine hoch. Und halten. Und halten. Und halten. Und jetzt zur Entspannung zwanzigmal Klappmesser. Und nun wieder halten.“ Sie kennen das. Und Du auch. Was Ihr aber noch nicht kennt, ist Urs Dietrichs neue Choreographie „Versus“, die jetzt im Concordia uraufgeführt wurde.

Der Körperkult. Mit Body Styling, Stretching und Building rücken die Menschen ihrem Normalgewicht zu Leibe, skaten sich den Rücken krumm und sind doch nicht zufrieden. Es gibt da übrigens das Gerücht, dass sich Männer für höchst begehrenswert halten, während Frauen immer unzufrieden mit sich sind. Das ist falsch. In Wahrheit ist es genau umgekehrt. Oder umgekehrt-umgekehrt.

Wie auch immer: Urs Dietrich, jetzt alleiniger Leiter des Bremer Tanztheaters, weiß das alles. Mit einem selten oder bei ihm noch nie gesehenen Spaß an der Inszenierung bringt er ein buntes Kaleidoskop zur Schönheit und dem dauernden Unzulänglichkeitsgefühl von Männlein und Weiblein auf die Bühne.

Das Concordia ist wie ein Multiplex-Kino hergerichtet. Bequeme Polstersessel auf der Tribüne gewähren freie Sicht von allen Plätzen auf die hell bis grell erleuchtete Bühne. Drei mit kleinen Klapptüren versehene Wände begrenzen unser aller Schönheitsfarm, in der Urs Dietrich und das neunköpfige TänzerInnen-Ensemble ratz-fatz zur Sache kommen. Schwupps: Lara Martelli macht sich oben frei, bearbeitet ihren Körper in einer Art erstem Waschgang noch zärtlich, geht fließend über zu einer Selbstmassage, die sich wiederum fließend in ein immer absurderes „Fett“-Wegdrücken und Selbstmodellieren steigert.

Anfangs und im Schlussteil entfachen Urs Dietrich und Ensemble einen dichter-geht-nicht Bilderbogen. In einer geradezu verschwenderischen Abfolge von Szenen und Szenchen streifen bildschöne NarzistInnen ihr Selbstwertgefühl wie eine Hülle von sich und mutieren zu Monstern und umgekehrt. Es sind Allerweltssorgen wie die von der Brünetten, die lieber blonde Haare hätte oder wie die vom blonden Jüngling, der den Schönheiten wie Hirngespinsten hinterherjagt.

Vom Fitnessstudio in den Tanzsaal und zurück führt der Weg der Bilder und streift dabei die Palette zwischen Selbstlust und -verstümmelung, zwischen erotischem Verlangen und Ablehnung. Das Ganze ist mal mit Sprache versetzt und manchmal durch eine auf dem Cello oder Contrabass sägende Geräusch-Kulisse unterstützt. Da persifliert eine Tänzerin mit künstlichen Lolo-Ferrari-Titten und Entenarsch eine TV-Show. Oder es taumelt eine andere kopflos im Lackmantel über die Bühne. Und ein Dritter lässt seinen Kopf bis zum Schwindlig-werden rotieren.

Ganz zweifellos haben Urs Dietrich und das zur Hälfte neu besetzte Ensemble im Komplex Schönheit, Körperlichkeit und Deformation ein Thema gefunden, das sie von der Ironisierung bis hin zum Bloßstellen des ganz alltäglichen Horrors ausweiden können. Eine Trilogie ist geplant. Im ersten Teil „Versus“, der in der mittleren Sequenz ein wenig an szenischer Kraft verliert, könnten Dietrich und Co. durchaus auch radikaler und schockierender sein, als sich in einer Selbstverstümmelungsszene oder dem rotierenden Kopf schon jetzt andeutet. Aber auch so spielt „Versus“ schon souverän mit Emotionen und Stimmungen und reizt damit die ureigene Stärke des Tanztheaters aus. Es soll aber doch noch ein kleines Tabu gebrochen werden: Normalerweise gilt eine Produktion mit der Premiere als fertig gestellt. Doch an der Uraufführung merkt man „Versus“ an, dass die 70minütige Choreographie noch nicht ganz ausgereizt war. Wenige Probentermine im Concordia setzten das Ensemble unter riesigen Zeitdruck. „Das Stück wird wachsen“, kündigte Urs Dietrich deshalb im Anschluss an. Das wird geschehen. Von hier aus die wärmste Empfehlung an Sie und an Dich: Hingehen und dem Ensemble dabei zusehen. Christoph Köster

Termine: 20., 25., 28. und 31. Mai sowie 3. 7. und 11. Juni, 20 Uhr